TEXTE

DIE GEHEIMEN VERFÜHRER

Vance Packard

Vance Packard, Die geheimen Verführer, Düsseldorf, 1992

DAS WAR UNTERSCHWELLIGE WERBUNG FÜR DIE FLEISCHWURST von Zimbo

Michael Schirner

Kaum ein Buch steht so für den Geist einer Epoche, und kaum eines hat so nachdrücklich Vorstellungen über Werbung beeinflußt wie Vance Packards Die geheimen Verführer.

In gewisser Hinsicht stellte sich das Buch selbst als Verführer heraus: Unterschwellig trieb es Millionen Menschen in die Arme einer ganz bestimmten Sorte von Sozialpsychologie, die noch in den simpelsten Kommunikationsvorgängen geheime, unterschwellige Komponenten witterte. Daß Werbung nicht einfach nur alle Kenntnisse, die ihr zugänglich sind, nutzt, um ihren Job zu tun, sondern zusätzlich schwer durchschaubare Strategien, bestimmte für eine ganze Epoche das, was der Common sense zur Werbung zu denken hatte. Das war für die Werbung aber nicht schlecht, es spornte sie an, ihrem ungünstigen Image entgegenzutreten. Vor allem in den Siebzigern setzten sich mehr und mehr Werber durch, die versuchten, ihre eigenen Kommunikationstricks offenzulegen und analog zur Konzeptkunst zu vermitteln, was in einer Anzeige gerade passiert, oder zumindest doch klarzustellen: Ich bin eine Anzeige, es gibt mich, weil ich über dieses und jenes Produkt reden soll, natürlich zugunsten des Produktes, oder was habt ihr gedacht? In den Achtzigern hat sich – nicht zuletzt dank dieser Perestroika-Periode der Werbung – das öffentliche Bild von der Werbung völlig gewandelt. Wie Werbung entsteht, war entmystifiziert, und das Berufsbild des Kommunikationsexperten galt plötzlich als enorm attraktiv und kulturell hochstehend.

Meine These, daß Werbung die zeitgenössische Entsprechung der Auftragskunst sei, steht nicht in Konflikt mit Packard: Denn für Auftragskunst genauso wie für Werbung gilt natürlich, daß sie die instinktiven ebenso wie die bewußten Kenntnisse über die Seele des Menschen einsetzen. Nur ist an diesen Kenntnissen nichts geheimnisvoll, und verführen läßt man sich heute gern, vor allem, wenn die Verführung gut gemacht ist. Profis können über die Verführungsthese eh nur seufzen: Schön wär’s, wenn mehr Irrationalismen vorkämen in unserem Geschäft, das doch meist äußerst berechenbar abläuft. Dennoch ist von Packards Theorien vieles noch im allgemeinen Bild, das die Leute von der Werbung haben, aufgehoben. Wir haben daher in unserer Agentur seine berühmteste These – die von der unterschwelligen Werbung – versucht zu parodieren:

Zimbo, die mittlerweile, dank unserer Kampagne, bekannte Fleisch- und Wurstwarenfirma, beauftragte uns mit einer Weiterentwicklung der Kampagne. Der Bekanntheitsgrad hatte sich zwar erhöht, war aber immer noch nicht hoch genug, außerdem wußte kaum einer, was für leckere Sachen Zimbo anbietet. Weil es aber enorm schwer ist, Fleisch- und Wurstwaren so abzubilden, daß sie einerseits schön, andererseits signifikant anders als die Produkte der Mitbewerber aussehen, erinnerten wir uns an die alte Volksmeinung von der magischen Macht der Werbung. Wir entschlossen uns zu Filmen: Gängige Klischees von „schön“ und „beruhigend hypnotisch“ wie Meeresbrandung, eine brennende Kerze, Wolken oder Sonnenuntergänge, flimmern statisch und suggestiv über den Bildschirm.

Dazu hört man die beruhigende Stimme des Sprechers, der dem Publikum ankündigt, daß es gleich „unterschwellige Werbung“ zu sehen bekommen werde. „Noch 5 Sekunden, noch 3 Sekunden, jetzt!“. Dann zeigen wir für 1/25 Sekunde ein Zimbo-Produkt. Manchmal gibt es auch noch einen kleinen Witz. Statt einer Wurst sieht man ein nacktes Mädchen: „Oh, das war das falsche Bild …“. Wir machen so nicht nur Werbung über Werbung bzw. über einen weitverbreiteten Mythos. Indem wir den Mythos persiflieren, machen wir ihn uns zunutze. Wir zeigen, wie suggestive Werbung aussehen würde, wenn es sie gäbe. Und da noch nie jemand so was gesehen hat, wird jedem klar, daß die geheime Verführung ein Mythos ist. Auf der anderen Seite lösen wir für uns ein Problem, daß eigentlich nur lösbar ist, wenn es geheime Verführung gäbe: Wir machen aus einem guten Produkt, das unter seinem alltäglichen Aussehen leidet, ein auratisches Produkt: Es wird Kronzeuge der sich in der Auflösung noch einmal besonders heftig entfaltenden auratischen Kraft. So wie ein Luftballon ganz besonders schnell wird, wenn man ihn mit einer Stecknadel durchbohrt. Der Unterschied ist nur, daß im Luftballon wirklich Luft ist, in der Zimbo-Wurst jedoch Fleisch von allererster Qualität.

Packards Buch ist heute noch wichtig, nicht nur, weil die Vorstellung von Werbung als einer völlig unbelasteten Kulturtechnik – als das Gegenteil von Packards Hypothese – heute auch ein wenig zu unwidersprochen dasteht. Es ist spannend erzählt und gewährt – wenn man die typisch amerikanische verschwörungstheoretische Grundstimmung abzieht – fundierte Einblicke in Entstehen und Wirkungsweise von Werbung.

Über die Hintertreppe der Tiefenpsychologie

Dieses Buch stellt einen Versuch dar, ein fremdes und ziemlich üppig wucherndes neues Gebiet des amerikanischen Lebens zu erkunden. Es handelt von der Art und Weise, in der viele von uns – weit mehr als wir erkennen – in ihrer alltäglichen Lebensführung beeinflußt und bearbeitet werden. Mit oft eindrucksvollem Erfolg werden in großem Maßstab Anstrengungen aufgewendet, um unsere gedankenlosen Gewohnheiten, unsere Kaufentschlüsse und unsere Denkvorgänge zu steuern, indem man sich der aus der Psychologie und den Sozialwissenschaften aufgelesenen Einsichten bedient. Bezeichnenderweise gelten diese Anstrengungen einer Schicht unterhalb unserer Bewußtseinsebene, so daß die Antriebe, die uns bewegen, oft gewissermaßen „verborgen“ sind.

Einiges an den Bearbeitungsversuchen ist schlichtweg ergötzlich. Einiges ist beunruhigend, besonders wenn man es als Vorzeichen dessen betrachtet, was uns allen in stärkerem und wirksamerem Maße noch bevorstehen mag. Bereitwillig haben die damit befaßten Wissenschaftler manches furchtbare Werkzeug dazu beigesteuert. Die Anwendung der Massenpsychologie auf Werbefeldzüge ist zur Grundlage einer Multimillionen-Dollar-Industrie geworden. Die gewerbsmäßigen Propagandisten haben sich bei ihrem Tasten nach wirksameren Mitteln, uns ihre Ware zu verkaufen – mögen es Erzeugnisse, Ideen, Haltungen, Kandidaten, Ziele oder geistige Einstellungen sein – darauf gestürzt.

Diesen tiefenpsychologischen Weg, unser Verhalten zu beeinflussen, geht man auf vielen Gebieten und bedient sich dabei einer Vielfalt von sinnreich erdachten Methoden. Am ausgiebigsten benutzt man ihn, um auf unsere täglichen Handlungen als Verbraucher einzuwirken. Der Verkauf von Erzeugnissen im Wert von Milliarden wird durch diese noch kaum den Kinderschuhen entwachsenen Methoden bedeutsam beeinflußt, wenn nicht gar revolutioniert. Zwei Drittel der hundert größten amerikanischen Inserenten haben ihre Werbefeldzüge auf das tiefenpsychologische Verfahren umgeschaltet und befleißigen sich der durch die sogenannte Motivanalyse eingegebenen „Kriegskunst“. Mittlerweile haben sich viele führende amerikanische Public-Relations-Fachleute die Lehren der Psychologie und der Sozialwissenschaften zu eigen gemacht, um noch geschickter zu verfahren, wenn es darauf ankommt, uns ihren Vorschlägen geneigt zu machen. Spendenfachleute nehmen ihre Zuflucht zu tiefenpsychologischen Verfahren, um aus uns mehr Geld herauszupressen. Eine beträchtliche und zunehmende Anzahl von industriellen Unternehmungen (darunter einige der größten) ist bemüht, das Verhalten ihrer Belegschaft – besonders der leitenden Angestellten – mit Hilfe psychiatrischer und psychologischer Techniken zu untersuchen und zu formen. Schließlich begegnet man der Tiefenpsychologie auch bei den Berufspolitikern, die den Wähler, der mehr und mehr wie Pawlows dressierter Hund behandelt wird, intensiv mit Symbolen und Wiederholungen bearbeiten.

Die Bemühungen der Meinungsbildner, unsere Alltagsgewohnheiten nach verborgenen Bedeutungen abzutasten, sind oftmals rein wegen der Augenblicksoffenbarungen über unser Innenleben interessant, die sie uns vermitteln. Ihre Untersuchungen enthüllen uns häufig als spaßige Darsteller in einer heiteren Welt Thurberscher Marionetten. Die Erkenntnisse der Tiefenpsychologen versorgen uns mit verblüffenden Erklärungen für viele unserer täglichen Gewohnheiten und Eigenheiten. Es scheint, daß unser Unterbewußtes ziemlich wild und ungebärdig sein kann.

Natürlich halten diese „Erforscher“ nach dem Warum unseres Verhaltens Ausschau, damit sie unsere Gewohnheiten und Entschlüsse um so wirksamer zu ihren Gunsten bearbeiten können. Deshalb haben sie untersucht, warum wir die Banken scheuen, warum wir diese großen „dicken“ Wagen lieben, warum wir in Wirklichkeit Häuser kaufen, warum Männer Zigarren rauchen, warum die Wagenart, die wir fahren, die Benzinmarke verrät, die wir tanken, warum Hausfrauen regelrecht in traumwandlerische Verzückung geraten, wenn sie einen großen Selbstbedienungsladen betreten, warum Männer durch Kabrioletts in die Ausstellungsräume der Autohändler gelockt werden, am Ende aber Limousinen kaufen, warum der Sohn zum Frühstück Cornflakes liebt, die knacken, krachen und knuspern. Aus der heiteren Thurberschen Welt geraten wir jedoch in die eisige Welt George Orwells und seines Großen Bruders, sobald wir einige der extremen Versuche beleuchten, wie sie zur Erforschung und Bearbeitung des Verbrauchers bereits im Gange sind. Irgendwelche Untersucher kundschaften zum Beispiel systematisch unsere geheimen Schwächen und Fehler in der Hoffnung aus, unser Verhalten desto ergiebiger beeinflussen zu können. Die Psychologen des Mitarbeiterstabes einer der größten Werbeagenturen Amerikas machen einen Versuch, an menschlichen Studienobjekten herauszufinden, wie Leute, die sehr ängstlich, um ihre Gesundheit besorgt, feindselig oder passiv sind, zu gewinnen und „ansprechbar“ sind. Eine Chicagoer Werbeagentur hat den Menstruationszyklus der Frau und seine psychologischen Begleiterscheinungen untersucht, um die Momente zu entdecken, die beim Verkauf bestimmter Lebensmittel die stärkste Anziehungskraft auf sie ausüben.

Anscheinend schrecken die Tester und Manipulatoren vor keiner Frage zurück, und nichts ist ihnen heilig. Die gleiche Chicagoer Agentur hat psychiatrische Untersuchungstechniken auf kleine Mädchen angewandt. Public-Relations-Fachleute beraten Geistliche, wie sie ihre Gemeinden wirksamer bearbeiten können. In einigen Fällen wählen diese Überredungskünstler sogar unsere Freunde für uns aus, wie es bei einer großen „Gemeinschaft von morgen“ in Florida geschieht. Freunde wie Wäsche werden beim Angebot der Häuser von der Geschäftsleitung mitgeliefert. Alles zusammen in einer einzigen großen Hochglanzverpackung. Traurige Muster der neuen Überredungskünstler, die da an der Arbeit sind, tauchen nicht nur im Handel, sondern auch in der Politik und im Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern auf. Der Bundesvorsitzende einer politischen Partei ließ seine kaufmännische Betrachtung der Wahlen des Jahres 1956 insofern erkennen, als er von seinen Kandidaten als Waren sprach, die es zu verkaufen gelte. Heute wird in vielen Industrieunternehmen das Verwaltungspersonal von geschulten, betriebsfremden Sachverständigen psychoanalysiert und seine künftige Entwicklung karteimäßig erfaßt. Und dann gibt es in Kalifornien jene Handelsschule, die den Arbeitgebern gegenüber sich rühmt, ihre Absolventen soziologisch so zurechtzukneten, daß sie, wie eine Fachzeitschrift bewundernd schrieb, „Menschen nach Maß“ werden, die unter Garantie die richtige Einstellung – vom Arbeitgeberstandpunkt aus – mitbringen. Was in vielen Fällen die Überredungskünstler wollen, faßte einer ihrer führenden Männer, der Präsident der Public Relations Society of America, in einem Satz zusammen, als er in einer Ansprache an die Verbandsmitglieder sagte: „Das Material, mit dem wir arbeiten, ist die Struktur des menschlichen Geistes.“ Bei vielen ihrer Versuche, unsere geistige Struktur zu bearbeiten, wird den berufsmäßigen Propagandisten direkte Hilfe und Führung von angesehenen Sozialwissenschaftlern zuteil. Mehrere Professoren der Sozialwissenschaft an der Columbia-Universität nahmen beispielsweise an einem von Dutzenden New Yorker Public-Relations-Fachleuten besuchten Universitätsseminar teil. Bei dieser Gelegenheit zeigte ein Professor diesen Manipulatoren in einer Art Lehrgespräch die Grundformen geistiger Bearbeitung auf, die sie mit höchster Erfolgswahrscheinlichkeit anwenden könnten.

Alle diese Untersuchungen und Manipulationen haben ihre konstruktiven und ihre erheiternden Seiten; aber – und das sollte nicht verschwiegen werden – sie bergen auch ernstliche menschenunwürdige Folgerungen. Vieles daran erscheint eher als Rückschritt denn als Fortschritt des Menschen in seinem langwährenden Bemühen, ein vernünftiges und selbstbestimmtes Wesen zu werden. Tatsächlich scheint mit der wachsenden Macht unserer Verführer etwas Neues in den amerikanischen Lebenszuschnitt einzudringen.

In Presse, Film und Funk wird der typische amerikanische Bürger gern als ein ungewöhnlich gescheites Wesen geschildert. Er oder sie wird als bedächtiger Wähler, überzeugter Individualist und obendrein als vorsichtiger und nüchterner Verbraucher der herrlichen Produkte des Unternehmens Amerika hingestellt. Kurzum, er ist die Krone des Fortschritts und der Erleuchtung des zwanzigsten Jahrhunderts. Die meisten von uns glauben diesem Bildnis zu entsprechen, und einige gewiß mit Recht. Die Männer und Frauen jedoch, die diese strahlenden Bildnisse aufrichten, besonders die berufsmäßigen Überredungskünstler, sind regelrecht doppelzüngig. In ihren internen Denkschriften, Fachblättern und Geschäftsbesprechungen sehen uns diese Verführer – die sich oft unverfänglich als „Symbolmanipulatoren“ bezeichnen – häufig weit weniger schmeichelhaft, dafür aber interessanter. Für sie verkörpern wir nichts weiter als Bündel aus Wachträumen, unklaren, geheimen Sehnsüchten, Schuldkomplexen und vernunftwidrigen Gefühlshemmungen; wir sind Trieb- und Zwangshandlungen ausgelieferte Imago-Anbeter. Wir plagen sie mit unseren scheinbar sinnlosen Einfällen, aber unsere zunehmende Gelehrigkeit im Eingehen auf ihre Symbolmanipulationen, mit denen sie uns in Bewegung halten, bereitet ihnen Vergnügen. Dieser Beweis unterstützte ihre Ansicht überzeugend genug, und sie faßten Mut, bei ihrem Bemühen um die Beeinflussung unseres Verhaltens sich in großem Maßstabe tiefenpsychologischen Wegen zuzuwenden.

Die Symbolmanipulatoren und ihre Forschungsberater haben ihre tiefenpsychologischen Meinungen über uns als gelehrige Schüler von Psychiatern und Sozialwissenschaftlern (besonders Psychologen und Soziologen) entwickelt, die sich entweder als „erfahrene“ Berater verdingt oder ihre eigenen Forschungsfirmen aufgemacht haben. Die Zeiten sind dahin, als diese Gelehrten sich darauf beschränkten, Manisch-Depressive zu klassifizieren, indem sie diese runde Stöpsel in runde Löcher einpassen ließen, oder die handwerkliche Kunst und die Hochzeitsbräuche der Eingeborenen der Salomon-Inseln studierten. Diese neuen Fachleute mit einer Schulung von unterschiedlicher Gründlichkeit bezeichnen sich gewöhnlich als „Motivanalytiker“ oder „Motivforscher“. Der Leiter einer Chicagoer Forschungsfirma, die psychoanalytisch ausgerichtete Untersuchungen für den Handel durchführt, Louis Cheskin, faßt sein Tun in die biederen Sätze zusammen: Die Motivforschung sucht zu ermitteln, wovon die Leute sich beim Auswählen leiten lassen. Sie benutzt spezielle Techniken, um das Unbewußte oder das Unterbewußte zu erreichen, weil Vorlieben hauptsächlich durch Faktoren bestimmt werden, deren der einzelne sich nicht bewußt ist. Beim Kaufvorgang ist es tatsächlich so, daß der Verbraucher vor allem gefühlsmäßig und zwangsläufig handelt, unbewußt auf im Unterbewußtsein mit dem Produkt verknüpfte Bilder oder Zeichen reagierend. Viele führende Verbrauchsgüterproduzenten Amerikas zählen zu Mr. Cheskins Klienten. Diese Motivanalytiker kneten gemeinsam mit den Symbolmanipulatoren einen Teig aus Tiefenpsychologie und dem Verkauf von Vorstellungen und Erzeugnissen. Sie lernen zum Beispiel, uns beträchtlich mehr anzubieten als den Gegenstand, um den es tatsächlich geht. Ein Werbeleiter aus Milwaukee äußerte sich zu Kollegen in gedruckter Form über die Tatsache, daß Frauen zwar zweieinhalb Dollar für Hautcreme zahlen, aber nie mehr als fünfundzwanzig Cent für ein Stück Seife. Warum? Seife, so erläuterte er, verspricht nur, sie sauber zu machen. Die Creme verspricht, sie schön zu machen. (Schon versprechen die Seifen sowohl Sauberkeit als auch Schönheit.) Er fügt hinzu: „Die Frauen kaufen ein Versprechen.“ Und weiter: „Die Schönheitsmittel-Fabrikanten verkaufen nicht Lanolin, sie verkaufen Hoffnung … Wir kaufen nicht mehr Apfelsinen, wir kaufen Lebenskraft. Wir kaufen nicht bloß ein Auto, wir kaufen Ansehen.“

In dieser Untersuchung erwähne ich die Kaufleute häufiger als andere Kategorien von Verführern, weil sie mehr Dollarmilliarden unmittelbar im Einsatz und damit als Schrittmacher dem tiefenpsychologischen Weg mehr Nachdruck verliehen haben. Aber die anderen – einschließlich Publizisten, Spendensammler, Politiker und Personalberater der Industrie – kommen auf dem Gebiet rasch nach, und wer sonst noch irgend etwas voranbringen will, wird wahrscheinlich folgen. Da wir uns hier mit jener Sorte von Meinungsknetern befassen, die in der Fachwelt als „Tiefen-Heinis“ bekannt sind, ist ein Großteil des Buches der Beschreibung ihres unterirdischen Wirkens gewidmet. Deshalb möchte ich ausdrücklich klar herausstellen: Sehr viele Werbefachleute, Publizisten, Spendensammler, Personalberater und politische Führer – zahlenmäßig überwiegen sie tatsächlich – leisten nach wie vor ehrliche Arbeit und sehen uns (ob wir es sind oder nicht) als vernünftige Bürger an. Sie füllen in unserer Gesellschaft eine wichtige und aufbauende Funktion aus. Die Werbung spielt zum Beispiel eine lebenswichtige Rolle nicht nur für die Entfaltung unseres wirtschaftlichen Wachstums, sondern sie ist eine farbenreiche, unterhaltsame Seite des amerikanischen Lebens, und viele Schöpfungen der Werbefachleute sind geschmackvolle, ehrliche, künstlerische Arbeiten.

Was die neuen „Tiefenarbeiter“ angeht, versuchen manche von ihnen mit gutem Grund ihre Geschäfte in der Stille zu betreiben. Bei dem Versuch, Direktinformationen von Gesellschaften zu erhalten, die sich bekanntermaßen weit in tiefenpsychologische Experimente eingelassen hatten, stieß ich häufig gegen eine undurchdringliche Mauer. In zwei Fällen, in denen Angestellte derartiger Gesellschaften offen zu mir gewesen waren, riefen sie mich später an und beteuerten, sie hätten auf eigene Faust geredet. Sie baten mich, weder ihren Namen noch den ihrer Firma oder deren Erzeugnisse zu nennen, und ich habe ihren Bitten um Anonymität entsprochen. Andere, vor allem von den Forschungsorganisationen, sprachen so offen und eingehend über ihre Arbeitsergebnisse und über ihre Verfahrensweisen, daß ich, ihre Offenheit bewundernd, mich zuweilen fragte, ob sie für gewisse unmenschliche Folgerungen ihres Tuns unempfindlich geworden seien. Manche standen mir mit Erläuterungen und beachtlichem Material über Fälle so großzügig bei, daß es mir jetzt geradezu peinlich ist, nüchtern schwarz auf weiß einiges von dem, was sie mir erzählten, wiederzugeben. Dennoch werde ich es tun und hoffe, daß sie nicht allzu sehr erzürnt sein werden. Zu meiner Rechtfertigung sollte ich vielleicht hinzufügen, daß die Fachblätter der Meinungsbildner gelegentlich Seelenforschungskommentare zu gewissen Manipulationspraktiken von Kollegen veröffentlichen.

Die Motivanalytiker und die Symbolmanipulatoren, die ihre Fähigkeiten koppeln und über Millionen Dollar verfügen, stellen ein faszinierendes und zuweilen beunruhigendes Gespann dar. Die Ergebnisse ihrer Manöver zeigen, daß es mit ihrer Unfehlbarkeit noch gute Weile hat. Viele geben unumwunden zu, daß ihre Techniken noch unvollkommen sind. Aber erschreckende Anfänge sind gemacht. Diese tiefenpsychologischen Manipulatoren sind im Begriff, mit ihrem Wirken unter der Oberfläche des amerikanischen Lebens eine derartige Überzeugungsmacht zu erlangen, daß die Öffentlichkeit gut daran täte, sich mit dieser Angelegenheit zu befassen und sie aufmerksam zu beobachten. Hoffentlich kann dieses Buch die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit wachrufen.

Werbefachleute studieren Freud

Auf seiner Jagd nach Mitteln, den Absatz hochzutreiben, ist der Geschäftsmann in eine fremde Wildnis geraten, die Welt des Unterbewußten. Wall Street Journal

Auf der Suche nach einer gründlicheren Stellungnahme gegenüber ihren Marketingproblemen stießen die amerikanischen Werbefachleute auf einige ernste Fragen. Sie machten sich Gedanken, warum in aller Welt der Verbraucher so handelt, wie er handelt. Warum kauft er oder weigert er sich, bestimmte Erzeugnisse zu kaufen? In dem Bemühen, eine Richtschnur zu bekommen, wandten sie sich an psychologische Berater und ertappten sich selbst bei dem Versuch, jene dunkeln unbewußten oder unterbewußten Faktoren zu erkunden und zu erfassen, welche die Menschen leiten. Dabei waren sie nicht nur auf der Suche nach neuen Einsichten, sondern auch, um eine übliche Redensart zu gebrauchen, nach den „Drückern“, das heißt, dem Knopf, auf den man drücken muß, um eine Handlung auszulösen.

Die Drücker würde man brauchen, sobald die wahren Motivationen erst einmal erkannt waren. Was die Drücker anbelangte, konnte ihnen Clyde Millers Buch The Process of Persuasion eine Richtschnur geben, in dem dargelegt wird, daß geschickte Meinungsformer stets das Wort oder das Bild als Auslöser benutzen, um gewünschte Reaktionen hervorzurufen. Ist erst ein Reaktionsschema im Sinne der Meinungsforschung einmal festgelegt, dann kann man die Leute haufenweise überzeugen, weil wir alle, wie Professor Miller anführt, „Lebewesen mit bedingten Reflexen“ sind. Seiner Ansicht nach liegt die Schwierigkeit aller Überredungsarbeit – ob man alkoholfreie Getränke verkaufen will oder eine politische Philosophie – darin, diese bedingten Reflexe hervorzurufen, indem man als Auslöser wirkende Worte, Symbole oder Darstellungen aufblitzen läßt.

Ein Werbungs-Columnist, Charles M. Sievert von New York World Telegram and Sun, erläuterte diese moderne Denkweise, als er berichtete, die Wirtschaft suche Wege, beim Verbraucher die Vorbedingungen für den Kauf zu schaffen, indem sie ihm die „story“ des Produkts „ins Gehirn ätze“.

Die von der neuen Dimension ihrer Perspektive begeisterten Werbefachleute begannen über die verschiedenen Bewußtseinsebenen des Menschen zu reden. Von ihrem Blickwinkel aus gibt es drei für sie interessante Hauptebenen.

Die erste ist die bewußte, rationale Ebene, auf der die Leute wissen, was vor sich geht und imstande sind zu sagen, warum. Die zweite und tiefere Ebene heißt abwechselnd: vorbewußt und unterbewußt. Sie umschließt jenen Bereich, in dem ein Mensch auf verschwommene Weise wissen mag, was innerhalb seines Fühlens, seiner Empfindungen und seiner Haltung vorgeht, aber nicht bereit wäre zu sagen, warum. Das ist die Ebene der Vorurteile, Annahmen, Ängste, Gefühlsaufwallungen und so weiter. Die dritte ist schließlich die Ebene, auf der wir uns unserer wahren Haltung und Gefühle nicht nur nicht bewußt sind, sondern auch, selbst wenn wir es könnten, nicht über sie sprechen würden. Die Erforschung unserer Haltung auf dieser zweiten und dritten Ebene in bezug auf industrielle Erzeugnisse wurde bekannt als die neue Wissenschaft der Motivanalyse oder Motivforschung (in den USA: Motivational Research, abgekürzt M. R.).

Als wirklich ernst zu nehmende Bewegung faßte die Motivforschung erst Ende der vierziger und Anfang der fünfziger Jahre Fuß. Ihr eigentlicher Vorkämpfer – wenn es einen gibt – ist nicht bekannt; nichtsdestoweniger lagen zwei Männer in heftigem Wettstreit um den Titel „Vater“ der Marktbeeinflussung über die Tiefenpsychologie: Ernest Dichter, Präsident des Institute for Motivational Research, Inc., und Louis Cheskin, Direktor des Color Research Institute of America. Beide behaupten heute, schon in den dreißiger Jahren tiefenpsychologische Untersuchungsmethoden für den Absatz vorgeschlagen zu haben. Dr. Dichter sagt beispielsweise: „Es ist jetzt fast zwanzig Jahre her, daß ich erstmals die Wörter ‚Motivforschung‘ und ‚Tiefeninterview‘ benutzte. Ich konnte schwerlich ahnen, daß es Standardausdrücke werden und viele Leute derartige Forschungstechniken in Anspruch nehmen würden.“ Mittlerweile teilt Mr. Cheskins Mitarbeiterstab auf Anfragen mit, daß Mr. Cheskin bereits seit 1935 Motivforschung betrieben hat, und in einem Prospekt bucht sein Institut zehn verschiedene „Erst“-Leistungen auf sein Konto. Zum Beispiel wird behauptet, es habe als erste Organisation „psychoanalytische Techniken auf die Marktforschung angewendet“. Im Jahre 1948 veröffentlichte Mr. Cheskin einen Aufsatz in der Harvard Business Review unter dem Titel „Der indirekte Weg zu Marktreaktionen“, der zweifellos ein Markstein in den Anfangsbemühungen der Bewegung um ihre Anerkennung ist.

Jedoch haben mindestens zehn Jahre vor dem Auftauchen dieser Motivforscher schon Werbeagenturen nach Blößen in der menschlichen Psyche gesucht. J. Walter Thompson zum Beispiel zog den angesehenen Verhaltens-Psychologen John B. Watson zu Rate. Ein anderer früher Wegbereiter der tiefenpsychologischen Marktbearbeitung war Professor Dale Hougthon von der Universität New York. In den dreißiger Jahren führte er eine bahnbrechende Untersuchung über achtzehn so verbreitete Plagegeister des Menschen durch wie schmutzige Zähne, Verstopfung, Husten und Kopfweh sowie darüber, in welchem Maße das Erwähnen dieser Plagegeister bei den Leuten die Bilder von zu ihrer Linderung bestimmten Erzeugnissen auftauchen ließ.

Als Massenbewegung jedoch ist die Motivforschung im Grunde eine Nachkriegserscheinung. Einer der ersten echten Meilensteine in gedruckter Form auf dem Wege der Motivforschung ist die April-Ausgabe 1950 des Journal of Marketing, einer Zeitschrift, die von der American Marketing Association herausgegeben wird. Sie enthielt vier große Artikel über tiefenpsychologische Marktbeeinflussung. Und ein paar Monate später brachte die Werbezeitschrift Printer’s Ink James Vicarys Artikel „Wie bei der Marktforschung psychologische Methoden angewendet werden können“.

Die Werbeagenturen betrieben Marktforschung weiterhin mit Hilfe des herkömmlichen Nasenzählens, begannen aber zunehmend die Möglichkeiten der Motivforschung zu erkunden. Einige hartköpfige Werbefachleute weigerten sich, mit Motivforschung etwas zu tun zu haben und beharrten darauf, ihre Aufgabe wie bisher zu lösen, indem sie dem Publikum die „Vorteile der Erzeugnisse“ darlegten. Als ein Prediger der Motivforschung auf einem Treffen der Werbefachleute von Philadelphia sprach, warnte er: „Einige von Ihnen werden sich mächtig umstellen müssen, weil ich Ihrer Vorstellung, daß alle Handlungen von Logik und Zweck bestimmt werden, buchstäblich den Boden unter den Füßen wegziehe.“

Der Forschungsdirektor einer großen Werbeagentur, ein wacher, handfester Mann, erklärte mir, wie er frühzeitig ein begeisterter Anhänger des tiefenpsychologischen Weges geworden war. Ich fragte ihn, ob irgend etwas in seiner persönlichen Herkunft sein frühes Interesse an der Psychologie begründet habe. Er erwähnte, daß seine Mutter Psychoanalytikern war, und daß er selber einmal in einer Anstalt für Geisteskranke als Gehilfe gearbeitet habe!

Schon 1951 mahnte Dr. Dichter die Werbeagenturen, sich als das zu erkennen, was sie tatsächlich seien – „eines der fortschrittlichsten Laboratorien für Psychologie“. Die erfolgreiche Werbeagentur, sagte er, „handhabt Motive und Wünsche der Menschen und entwickelt ein Bedürfnis nach Gütern, die dem Publikum bis dahin ungewohnt gewesen sind – die zu kaufen ihm vielleicht sogar unerwünscht war. Ein Jahr darauf brachte Advertising Age die Behauptung eines Werbefachmanns, die Psychologie sei nicht nur der Schlüssel zum Verständnis der Menschen, sondern „letzten Endes auch zur Kontrolle ihres Verhaltens“.nBei all diesem Nutzen, der im Manipulieren des Unterbewußten steckt, nahm das alte Schlagwort „Käufer, sei auf der Hut!“ nach und nach eine neue und tiefere Bedeutung an.

Vier der angesehensten Zeitschriften, die von Werbefachleuten und Verkaufsspezialisten gelesen werden (Advertising Age, Printer’s Ink, Tide, Business Week), begannen der Motivforschung in ihren Spalten größere Beachtung zu widmen. (Zwischen 1943 und 1954 hat Printer’s Ink sechsunddreißig Beiträge über Motivforschung gebracht.) Einige der ständigen Mitarbeiter von Advertising Age, die zur sogenannten „alten Schule“ gehörten, verfielen gelegentlich sogar selber in die neue Tiefenterminologie. James Woolf gab zum Beispiel zu:

Ich stimme zwar nicht in allen Punkten mit dem überein, was Dave Ogilvy (über Marken-Bilder) gesagt hat, glaube aber, daß der Imago-Begriff einer der wichtigsten ist. Wie ich das Publikum über meine Firma und meine Marke, vielleicht unterbewußt, empfinden lassen möchte, ist eine Frage, die jeder Werbungtreibende sorgfältig prüfen sollte. Business Week veröffentlichte im August 1954 eine dreiteilige Artikelfolge über Motivforschung, die dann als Broschüre mit dem Titel „Business Week-Berichte für Führungskräfte über die neue Wissenschaft der Motivforschung“ erschien. Sales Management brachte Anfang 1955 einen Beitrag in zwei Folgen von Dr. Dichter über das Thema „Aus welchen wirklichen Gründen kaufen heutzutage die Leute?“ Und falls noch irgendein Zweifel bestand, daß der Motivforschung endlich Anerkennung zuteil wurde, so wurde er zerstreut, als im Juni 1956 das außerordentlich angesehene intellektuelle Wirtschaftsblatt Fortune der Motivforschung einen Leitartikel widmete, worin diese in vorwiegend anerkennenden Ausdrücken geschildert und gelobt wurde.

Als in den Jahren 1953 und 1954 Aufregung und Anteilnahme hinsichtlich der Motivforschung ihren Höhepunkt erreichten, ernannte die Non-profit-Advertising Research Foundation einen Sonderausschuß für Motivforschung unter dem Vorsitz von Dr. Wallace Wulfeck, einem Psychologen und wissenschaftlichen Mitarbeiter einer Werbeagentur. Der Ausschuß gab eine Serie von Veröffentlichungen heraus, die den Werbefachleuten als Führer durch die fremdartige Wildnis dienen sollten, in welche sie hineingeraten waren. Zum Beispiel:

  • Eine Bibliographie der Bücher und Artikel, aus denen sie sich kurzgefaßt informieren konnten, so daß sie imstande waren, mit besserer Kenntnis über den Gegenstand zu sprechen.
  • Ein Büchlein Die Fachsprache der dynamischen Psychologie auf dem Gebiete der Motivforschung. Damit besaßen die Werbefachleute einen handlichen kleinen Sprachführer für die zungenbrecherischen Wörter, mit denen die neue Wissenschaft arbeitete, wie Autismus, Katharsis, Kompensation, Konfabulation.
  • Ein Verzeichnis der Organisationen, die Motivforschung betreiben. Dieses Handbuch zählte zweiundachtzig Gesellschaften oder Leute in den Vereinigten Staaten auf, welche behaupteten, für tiefenpsychologische Untersuchungen für Kunden qualifiziert zu sein. Preis des kleinen Handbuches: $ 25.
  • Ein umfängliches Buch Motivforschung in Werbung und Absatzvorbereitung, herausgegeben von der Stiftung und verfaßt von George Horsley Smith, einem Psychologen der Rutgers-Universität. Der knallige Klappentext versprach, es werde „für jeden interessant sein, der etwas über die neuesten Forschungstechniken zur praktischen Annäherung an die subtileren Seiten menschlicher Motivation wissen oder sie benutzen möchte“.
  • Ein Verzeichnis der Sozialwissenschaftler, die sich mit Motivforschung befassen. Es enthielt die Namen und nähere Angaben über etwa 150, meist an Colleges tätige „Sozialwissenschaftler“. Preis des Verzeichnisses: $ 25.

Diese Rekrutierung von „Bärtigen“ – wie die Werbefachleute manchmal die Akademiker nennen – war für alle ernsthaften tiefenpsychologischen Untersuchungen wesentlich. Herkömmlicherweise hatten sich Amerikas Sozialwissenschaftler mit mehr esoterischen oder klinischen Dingen befaßt. Als nun die Notwendigkeit, Waren im Werte von Milliarden Dollar zu verkaufen, dringlich wurde, wandte man sich an sie, und in steigender Zahl schlossen sie ein bedenkliches Bündnis mit den Kaufleuten. In seinem Buch über Motivforschung empfahl Dr. Smith den Werbefachleuten Behutsamkeit im Umgang mit den Männern von den Universitäten. Manche seien vielleicht unpraktisch oder naiv in geschäftlichen Dingen und hätten möglicherweise übertriebene Vorstellungen von dem Grad der für eine einfache kleine Marktuntersuchung erforderlichen Exaktheit, andere wiederum würden vielleicht ihren wissenschaftlichen Idealen restlos den Laufpaß geben, um auf Fragen auf Anhieb eine Antwort bei der Hand zu haben.

Zum Glück für die Werbefachleute hat sich der Bestand an Sozialwissenschaftlern, auf die man zurückgreifen kann, im Laufe des letzten Jahrzehnts reichlich vervielfacht. Es gibt jetzt beispielsweise mindestens siebentausend anerkannte Psychologen. Zuerst war es für die Werbefachleute recht schwierig, die verschiedenen Arten von Sozialwissenschaftlern genau auseinanderzuhalten. Sie wurden dahingehend belehrt, daß Soziologen und Anthropologen sich mit Menschengruppen befassen, während Psychologen und Psychiater sich in der Hauptsache dem widmen, was in der Seele des Individuums vorgeht.

Als die Rekrutierung Schwung bekam, verlegten sich Hunderte von Sozialwissenschaftlern auf die Anfertigung von Tiefenstudien für die Absatzspezialisten. Um 1955 beschäftigte, wie aus einem Bericht hervorgeht, zum Beispiel die Werbeagentur McCann-Erickson, New York, fünf Psychologen in einer Sonderabteilung Motivation. Die Zeitschrift The Reporter brachte einen Artikel über Werbeagenturen, in dem es hieß, daß viele, wenn nicht die meisten Agenturen Fachleute für Motivforschung eingestellt hätten. Es hieß weiter: „Agenturen, die keine festangestellten ‚Kopfmasseure‘ haben, beeilen sich, unabhängige, von Psychologen betriebene Firmen in Anspruch zu nehmen …“ Und ein Werbeleiter in Rochester schrieb in einem Fachblatt: „Die Sozialwissenschaften sind für die amerikanische Wirtschaft heute so gut wie bares Geld.“

Die Reihe der „Sozialwissenschaftler“, welche sich die neue Goldgrube zunutze machten, reichte nach den Worten eines maßgebenden Mannes der Advertising Research Foundation von den „Mäntelchen nach dem Wind“-Forschern bis zu den sehr ernsthaften, fähigen Sozialwissenschaftlern, darunter einigen der angesehensten von ganz Amerika. Zu ihnen gehörte Burleigh Gardner, Sozialanthropologe von Harvard und der Universität Chicago und Verfasser des Werkes Human Relations in Industry. Er errichtete seine eigene Beratungsgesellschaft, die Social Research, Inc., und hielt 1953 vor der American Marketing Association einen Vortrag über die Benutzung sozialer Stereotypen bei der Werbestrategie.

Ein hervorragender amerikanischer Psychologe, Gardner Murphy (Forschungsdirektor der Menninger Foundation), sprach im gleichen Jahr vor dem Mitarbeiterstab einer Chicagoer Werbeagentur über das Thema: „Werbung auf der Grundlage menschlicher Bedürfnisse und Verhaltensweisen“. Ein Jahr darauf veranstaltete diese Agentur eine sogar noch ungewöhnlichere Konferenz. Sie mietete eine Zimmerflucht im Chicagoer Drake-Hotel, stellte Fernsehgeräte darin auf und holte dann acht Sozialwissenschaftler aus Chicago und Umgebung heran, die mit den Männern der Agentur einen ganzen Tag lang (von 9 bis 22.30 Uhr) Fernseh-Werbesendungen ansahen und dazu Erläuterungen gaben; die letzteren lenkten ihrerseits das Gespräch auf „für Werbefachleute besonders interessante“ Gebiete. Die Mahlzeiten wurden in den Zimmern serviert. (Die Sachverständigen setzten sich zusammen aus zwei Psychoanalytikern, einem Kulturanthropologen, einem Sozialpsychologen, zwei Soziologen und zwei Professoren der Sozialwissenschaft.)

Die Analyse, welche diese Fachleute von dem phantastischen Erfolg Arthur Godfreys, dem damaligen Television-Abgott der Hausfrauen gaben, war besonders interessant. Hier folgen die Kernpunkte ihrer Schlußfolgerungen laut den Mitteilungen der Agentur:

Psychologisch erzeugt Mr. Godfreys Morgenprogramm eine Illusion über die Struktur der Familie. Konflikte und verwickelte Situationen des Familienlebens kommen nicht vor; übriggeblieben ist eine freundliche, gemütliche Familienszene – mit einer wichtigen Auslassung: Die Godfrey-Familie hat keine Mutter. Das gibt der zuschauenden Hausfrau Gelegenheit, jene Rolle auszufüllen. In ihrer Phantasie betritt Godfrey ihr Heim als zusätzliches Mitglied ihrer Familie, oder sie bildet sich ein, ein besonders eingeladenes Mitglied seiner Familie zu sein. (Das war vor den aufsehenerregenden Zerwürfnissen, zu denen es in Mr. Godfreys glücklicher kleiner Fernsehfamilie hinter den Kulissen kam.)

Die Bildermacher und die Politik

Eine Welt der unsichtbaren Diktatur ist denkbar, die sich noch der demokratischen Regierungsformen bedient. Kenneth Boulding, Universität Michigan

Die politische Meinungsbeeinflussung ist keineswegs eine Entdeckung der 1950er Jahre oder gar des zwanzigsten Jahrhunderts. Napoleon errichtete bereits ein Presseamt, das er – vielleicht in einer spaßigen Anwandlung – Amt für öffentliche Meinung nannte. Seine Aufgabe bestand im Fabrizieren von politischen Strömungen auf Bestellung. Auch Machiavelli hat einiges Neuartige zu diesem Thema beigesteuert. In einer kontrollierten Gesellschaft ist die Manipulation des Volkes durch einen Tyrannen eine ziemlich einfache Sache, die er je nachdem mit harter oder weicher Hand anpacken kann. Handelt es sich aber um die Bürger einer freien Gesellschaft, die einen aus dem Amt herauswählen, oder einem nach Belieben die Gefolgschaft verweigern können, dann wird sie zu einem echten Problem.

Unter den herrschenden Umständen waren politische Manipulation und Massenüberredung erst möglich, nachdem die Symbolmanipulatoren auf der Bildfläche erschienen. Vor den fünfziger Jahren schenkten sie jedoch der Politik keine ernsthafte Aufmerksamkeit. Innerhalb von ein paar Jahren – den Höhepunkt bildete die Präsidentenwahl von 1956 – wandelten sie dann die traditionellen Merkmale des amerikanischen politischen Lebens mit Riesenschritten. Sie vermochten das mit Hilfe der Erkenntnisse von Pawlow und seinen bedingten Reflexen, von Freud und seinem Vater-Imago, von Riesman und seiner Auffassung des heutigen amerikanischen Wählers als Zuschauer-Verbraucher der Politik, sowie von Batten, Barton, Durstine & Osborn und ihrer Lehre von der Massenwerbung. Zu Beginn der fünfziger Jahre erschien in The New York World Telegram, einer normalerweise republikanischen Zeitung, eine Schilderung der Vorbereitungen für den Kongreßwahlkampf 1950, die das Schlimmste ahnen ließ. Die Schlagzeile lautete: Die Marktschreier übernehmen den Wahlkampf der GOP (Grand Old Party – Republikaner). Und der Leitartikel erläuterte, daß „die Politiker anfangen, all die gerissenen Werbetechniken anzuwenden, welche die amerikanische Massenproduktion benutzt, um Autos, Badesalze und Rasenmäher an den Mann zu bringen“. Es hieß dann weiter: Der republikanische Kongreßausschuß unter dem Vorsitz von Leonhard W. Hall (R., N. Y.) und Publicity-Direktor Robert Humphreys liefert auf Bestellung fertiges Material für den Kandidaten, der durch Fernsehen, Kurzfilme mit Karikaturen und graphischen Darstellungen, zündenden Durchsagen zwischen den Programmen der örtlichen Rundfunksende, Rundschreiben, Interviews mit dem Mann auf der Straße für sich werben will. Diese beiden Männer sind im republikanischen Parteiapparat zu hohen Stellungen aufgerückt.

Ein führender Demokrat, William Benton, ehemaliger Mitinhaber der Werbeagentur Benton & Bowles, betrieb unter Einsatz zahlreicher Massenverkaufstechniken einen für den Senat erfolgreichen Wahlkampf. Er erklärte: „Es kommt darauf an, sich als Peron von den andern abzuheben.“ Das bezweckte er mit Eine-Minute-Rundfunkdurchsagen, deren Eignung für die Masse feststand, auf Leserinteresse vorgetesteten Comic-Strip-Anzeigen, Werbeständen mit hübschen Mädchen an den Straßenecken und Fünf-Minuten-Kurzfilmen.

Für die Präsidentenwahlkampagne von 1952 hatte zumindest eine Partei die berufsmäßigen Überredungskünstler zu den internen Beratungen hinzugezogen. Stanley Kelley jr. von Brookings Institution führte über die Wahlkampagne 1952 eine Untersuchung durch, über die er in seinem Buch Professional Public Relations and Political Power (1956) schreibt: Der Wahlfeldzug … läßt einige interessante Unterschiede hinsichtlich des Ranges erkennen, den die berufsmäßigen Meinungspfleger in den Beratungen der gegnerischen Parteien einnahmen. Die Strategie, die Aufstellung von Programmen, der Einsatz von Werbeträgern, die Verplanung der finanziellen Mittel und der Ablauf der Eisenhower-Kampagne verrieten den maßgeblichen Einfluß von Propagandafachleuten. Die Demokraten bedienten sich weniger der Fachleute, waren weniger geneigt, sich in ihren Gedankengängen auf die kommerzielle und industrielle Erfahrung in der Meinungspflege zu stützen, und ihre Publicity-Leute hatten augenscheinlich bei den Beschlüssen über die Wahlkampagne keine Stimme. Natürlich steckten die Demokraten eine Niederlage ein und – Kelley vermutete es jedenfalls – zogen daraus die Lehre, 1956 stärker Public-Relations- und Werbefachleute heranzuziehen.

Auch die Tiefenforscher wendeten der Politik ihr Augenmerk zu. Während der Wahlkampagne 1952 kündigte Dr. Dichter an, all das langwierige Gerede über solche Folgen wie Inflation und Korea werde auf den Ausgang der Wahl sehr wenig Einfluß haben. Entscheidend sei die gefühlsmäßige Zugkraft der rivalisierenden Kandidaten. Nach der Wahl schrieb Burleigh Gardner in der Zeitschrift Tide, daß man sich für politische Vorhersagen tiefenpsychologischer Verfahren bedienen sollte. Mit Hilfe von Projektionstests zur Aufdeckung der zugrundeliegenden Gefühlsmomente (statt die Leute einfach zu fragen, wie sie wählen werden) hätte der Eisenhower-Erdrutsch vorausgesagt werden können. Ein New Yorker Werbeleiter, der tiefenpsychologische Methoden benutzt, behauptete: wenn die Werbefachleute wirklich freie Hand bekämen, so wären sie in der Lage, mit auf die unentschlossene oder gleichgültige Masse zielenden Appellen bei so gut wie jeder Wahl entscheidende Wählerstimmen hereinzuholen. Während der Wahlkampagne 1952 führte seine Agentur eine Testuntersuchung bei den „Ich-weiß-nicht“-Wählern durch, um des Gefühlsmoments habhaft zu werden, das der Einstellung dieser Wähler zugrunde lag; hierfür benutzte man die gleichen Projektionstechniken wie für die Ermittlung von Wesensverwandtschaften mit Markenleitbildern. Nach der Wahl rief die Agentur die befragten Leute an (alle waren ausgesprochen unentschlossen gewesen) und stellte fest, daß ihre Vorhersagen, wie jeder einzelne wählen würde, zu 97 Prozent richtig gewesen waren. Der Sprecher der Agentur sagte, der unentschlossene Wähler sei keinesfalls der nachdenkliche „Unabhängige“, als der er oft geschildert wird. Der schwankende Wähler „schwankt aus irgendeinem eingebildeten, unwichtigen Grund, etwa weil er die Frau des Kandidaten nicht leiden kann“. Der Tiefenerforscher James Vicary führte eine ähnliche Arbeit während der Bürgermeisterwahl in Kingston (New York) durch und fand, daß er gewöhnlich im voraus sagen konnte, wie der „Ich-weiß-nicht“-Wähler am Ende tatsächlich wählte.

Um 1956 herum gab sogar der berühmte „Nasenzähler“ George Gallup, Direktor des American Institute of Public Opinion und des Gallup Poll, zu, daß er seine mehr konventionellen Methoden durch Tiefeninterviews“bereichern werde. In der Politik schien der Weg über die Tiefenpsychologie durch die wachsende Erkenntnis gerechtfertigt, daß man sich nicht auf das vernunftgemäße Verhalten der Wähler verlassen konnte. Sowohl das Verhalten des einzelnen als auch das Verhalten der Masse schien ein starkes unlogisches oder nichtlogisches Element zu bergen. Ein Beispiel für dieses nichtrationale Verhalten war die Reaktion der Wähler auf Präsident Eisenhowers Herzanfall im Jahre 1955. Anfang September 1955, kurz vor seinem Anfall, hatten bei einem Gallup-Poll 61 Prozent der Befragten erklärt, wenn Eisenhower gegen Adlai Stevenson, den führenden Mann der Demokraten, kandidiere, würden sie für ihn stimmen. Dann erkrankte er, und während der folgenden Monate, als es auf des Messers Schneide stand, ob er sich jemals so weit erholen würde, um wieder zu kandidieren, stieg in dem hypothetischen Wettstreit mit Stevenson seine Gallup-Wertung ständig, bis sie im März bei 66 Prozent lag. In seinem Kommentar zu diesem Anwachsen sagte James Reston von The New York Times: „Die Erklärung dafür fehlt mir im Augenblick, aber wenn ich sie finde, werde ich sie noch bringen.“

The Journal of Abnormal and Social Psychology befaßte sich mit diesem anscheinend nichtrationalen Element im Denken der Wähler, als es über ein Experiment mit Leuten berichtete, die entweder als entschiedene Pro- oder Antidemokraten bekannt waren. Alle zusammen hörten eine Zehn-Minuten-Rede über staatliche Angelegenheiten. Der Inhalt war sorgfältig je zur Hälfte prodemokratisch und antidemokratisch gerichtet. Man erzählte den Leuten, daß sie einer Gedächtnisprüfung unterzogen würden. Nach einundzwanzig Tagen stellte sich heraus, daß die Befragten in bezug auf den Inhalt, der mit ihrer eigenen politischen Meinung in Einklang stand, ein „bedeutend besseres“ Gedächtnis hatten. Dagegen bestand eine unverkennbare Tendenz, den nicht mit den eigenen vorgefaßten Meinungen übereinstimmenden Inhalt zu vergessen.

1956 verzeichneten mehrere politische Kommentatoren (Reston, Dorothy Thompson, Doris Fleeson sind Beispiele dafür) besonders den ihrer Ansicht nach steigenden Rang, den die „Persönlichkeit“ in der amerikanischen Politik einnimmt. Dorothy Thompson nannte es „Persönlichkeitskult“. Der Soziologe David Riesman, der das gleiche Phänomen beobachtete, betrachtet es als einen Teil des Trends zur Fremdbestimmtheit im amerikanischen Leben. Die zunehmend vom Konsum in Anspruch genommenen Amerikaner seien auch in der Politik zu Verbrauchern geworden. Das hat mehr und mehr dazu geführt, daß man dem besten Darsteller Beifall zollt, und für die Bewertung der Darbietung steht „Aufrichtigkeit“ an erster Stelle. In seinem Buch Die Einsame Masse heißt es: Genauso wie bei der Verpackung und Werbung die „Aufmachung“ an die Stelle des Wettbewerbs der Preise tritt, genauso ersetzt in der Politik die „Aufmachung“ – entweder als Charisma (Verpackung) des Führers oder als sprunghafte Behandlung von Ereignissen mit den Mitteln der Massenbeeinflussung – jenes Selbstinteresse, das den von innen her bestimmten Menschen beherrschte.

Die Tiefenpsychologen schlußfolgerten: Das amerikanische Volk will nicht nur politische Führerpersönlichkeiten, sondern es möchte auf dem Stuhl des Präsidenten eine ganz bestimmte Art von Persönlichkeit sehen. Eugene Burdick, Dozent für theoretische Politik an der Universität Kalifornien, untersuchte als Mitglied des Center for Advanced Studies in the Behaviorial Sciences die Eigenschaften des vollkommenen Präsidenten. (Burdick ist auch der Verfasser des 1956 erschienenen Bestsellerromans Die neunte Welle über irrationale Strömungen in der Politik.) Dr. Burdick stellte fest, daß der vollkommene Präsident nicht aus großen Erfolgen erwächst, sondern seiner Persönlichkeit wegen in unserer Vorstellung „groß“ wird. Er wird so „groß“, daß er für uns zum „Vater-Imago“ wird. Burdick schreibt: Kürzlich durchgeführte Befragungen und psychologische Untersuchungen lassen erkennen, in welchem Ausmaß der Präsident heute für die amerikanische Durchschnittsfamilie ein, wie es die Psychoanalytiker nennen, „Vater-Imago“ ist.

In This Week zeichnete Burdick ein Gesamtbild des vollkommenen Präsidenten: Er ist ein Mann mit großer Herzenswärme, der eher Vertrauen als Bewunderung einflößt und nicht so makellos ist, daß es unglaubwürdig erscheint. Er muß auf einem anderen Gebiet als dem der Politik etwas geleiset haben und echten Sinn für Humor besitzen. Seine Ansicht über einzelne politische Fragen ist verhältnismäßig unwichtig. Nachdem er dieses Bild entworfen hat, fügt Burdick hinzu: Zweifellos findet man in diesem Porträt einige bedenkliche Züge. Erstens: ist es zum Beispiel nicht bedenklich, daß Probleme weniger wichtig sind als Persönlichkeit? Zweitens: kann man es als gesund bezeichnen, daß die Bürger einer Demokratie einen Führer haben wollen, der sie beschützt? Drittens: halten die Amerikaner in ihrer Abneigung gegen die Politiker Ausschau nach einem heroischen Führer totalitären Typs?

Mitte der fünfziger Jahre prüften sich die meisten aktiven Politiker im Spiegel, ob sie das richtige Persönlichkeitsbild verkörperten. Printer’s Ink, die Fachzeitschrift der Werbewirtschaft, zitierte einen führenden Demokraten, der 1955 gesagt habe: Natürlich ist sich jeder Kandidat darüber klar, … je eher es ihm gelingt, im Zusammenhang mit den politischen Tagesfragen ein günstiges Persönlichkeitsbild von sich zu schaffen, um so wahrscheinlicher wird er durchkommen. Selbst Adlai Stevenson, der sehr lebendige, scharfzüngige Intellektuelle der unglückseligen Wahlkampagne von 1952, wurde 1956 von seinen Gegnern kritisiert, es fehle ihm „das Präsidentenimago“. Er soll versucht haben, diesen angeblichen Mangel zu korrigieren, indem er Amerika das Bild eines ein bißchen weniger geistreichen und dafür eines ein bißchen entschiedeneren und entschlosseneren Mannes bietet. Inzwischen vollzog sich im Laufe des Jahres 1956 auch im Persönlichkeitsbild Präsident Eisenhowers eine Veränderung. Louis Harris, der bekannte Meinungsforscher und politische Analytiker, führte nach Eisenhowers Erkrankungen 1200 „Qualitativ-Interviews“ über die „tieferen Gründe und Motive“ durch, von denen das Empfinden des Volkes gegenüber dem Präsidenten bestimmt wird. In seinem Bericht in der Zeitschrift Collier’s (Ausgabe vom 20. Juli 1956) erwähnte er, daß viele, die 1952 General Eisenhower unterstützt hatten, ihn als starken, unbedingt redlichen Mann ansahen, der reinen Tisch machen und das Land aus Schwierigkeiten heraushalten könnte. „Das veranlaßte einige zu der Behauptung, die amerikanischen Wähler, besonders die Frauen, hätten eine ‚Vater-Vorstellung‘ von ihm“, schrieb Mr. Harris und fügte hinzu: „Heute hat sich das wesentlich geändert. Eisenhower wird nicht mehr als stark betrachtet. Mutig ist er noch, das erzählen einem die Leute, wenn über sein Veto gegen das Farmgesetz oder gegen das Erdgasgesetz gesprochen wird. Aber das Bild ist milder geworden. Man sieht ihn jetzt als freundlicher, weiser und als – wie ein Wähler es ausdrückte –’eine Art Großvater der Republik‘.“

Seit Mitte der fünfziger Jahre bedienten sich die beiden großen Parteien der Vereinigten Staaten weitgehend der berufsmäßigen Meinungsformer, die ihnen bei der Schaffung von Leitbildern behilflich sein sollten. Beglückt begrüßte Anfang 1956 die von der Handelskammer der Vereinigten Staaten herausgegebene Zeitschrift Nation’s Business die neue, geschäftsmäßige Behandlung politischer Angelegenheiten. Sie verkündete: Beide Parteien werden ihre Kandidaten und Programme mit den gleichen Methoden anpreisen, wie sie die Wirtschaft für den Warenabsatz entwickelt hat. Dazu gehören: fachkundige Auswahl der werbenden Momente; planmäßige Wiederholung … Es werden keine fahnenschwenkenden Gläubigen mehr durch die Stadt marschieren; statt dessen wird ein Heer von Freiwilligen Türklingeln und Telefone in Bewegung setzen … Rundfunkkurzdurchsagen und Anzeigen werden mit gezielter Eindringlichkeit bestimmte Phrasen wiederholen. Plakate werden Slogans von erprobter Wirkung einhämmern. Kandidaten müssen außer einer klangvollen Stimme und einer korrekten Aussprache auch die Fähigkeit besitzen, „aufrichtig“ in die Fernsehkamera zu schauen.

Wir wollen uns nunmehr einige der lebendigsten Beispiele für den neuen Typ politischer Überreder, die da an der Arbeit sind, ansehen. Zuerst die Republikaner. In welchem Umfang die kaufmännische Betrachtungsweise sich 1956 beim Bundesvorstand der Republikaner durchgesetzt hatte, zeigte eine Verlautbarung des Bundesvorsitzenden Leonward Hall, in der erklärt wurde, warum die Republikanische Partei wiederum die Kongreßmehrheit gewinnen werde. Unter anderem sagte er, die Partei habe eine großartige Ware anzupreisen. Heutzutage preist man seine Kandidaten und seine Programme genauso an wie ein Geschäft seine Waren. Der Public-Relations-Leiter des Parteivorstands, der junge, im Mannschaftsgeist erzogene Richard Guylay, der für eine Anzahl Senatoren den Aufbau eines Persönlichkeitsbildes bewerkstelligt und dadurch geholfen hatte, der kaufmännischen Betrachtungsweise in der Politik den Weg zu bereiten, meinte, daß die neuen fachkundigen Methoden die bisherigen „Auf-gut-Glück“-Verfahren aus der Politik ausschalten und einen Haufen vertaner Zeit und Mühe ersparen. Len Hall ist ein begeisterter Anhänger der modernen Methoden.

Im Weißen Haus selbst besaßen die Amerikaner einen Überredungskünstler von erprobtem Können in Gouverneur Howard Pyle, dem (nächst Sherman Adams) Stellvertretenden Assistenten des Präsidenten. Dieser ehemalige Werbefachmann aus Phoenix (Arizona) erklärte, die Republikanische Partei werde wie bei den Wahlen von 1952 auch 1956 wieder ihr Vertrauen in die große New Yorker Werbeagentur Batten, Barton, Durstine & Osborn setzen. Ende 1955 sagte er: Seit langem ist die Republikanische Partei mit B. B. D. & O. gleichgesetzt worden. Sie vertreten uns in Wahlzeiten und auch zwischendurch auf Grund einer Vertragsvollmacht. Wir sind ein regulärer und – wenn man sich die „Wahlscherflein“ ansieht – ein teurer Kunde. Wir haben B. B. D. & O. gegenüber Verpflichtungen. (Bei einem seiner seltenen öffentlichen Auftreten machte er in dem von Arbeitslosigkeit heimgesuchten Detroit die peinliche Bemerkung, „das Recht zu leiden, gehört zu den Freuden einer freien Wirtschaft“.) Carroll Newton, der bei B. B. D. & O. den „Kunden“ GOP* betreut, verkündete, er sei nicht Politiker, sondern Werbefachmann. Ein anderer von ihm betreuter großer Kunde ist die United States Steel. Er soll für das „Konto GOP“ vierzig Leute beschäftigt haben.

* GOP = Grand Old Party = Republikanische Partei.

Der vielleicht einflußreichste aller Meinungsforscher in den Reihen der Republikanischen Partei war 1956 der Pressechef James Hagerty. Präsident Eisenhowers zwei Erkrankungen brachten ihn als den Mann zwischen dem Präsidenten und der Außenwelt ans Ruder. Newsweek vermerkte diese wachsende Macht von Mr. Hagerty und bezeichnete ihn als einen der einflußreichsten Regierungsbeamten, ein Mann, der Entscheidungen nicht nur verkünde, sondern hinter den Kulissen an ihnen mithelfe. Das Magazin plauderte aus, daß er regelmäßig den Kabinettssitzungen beiwohne und häufig auf sich und den Präsidenten als austauschbar anspiele, wenn er sagt: „Außerdem unterzeichneten wir heute …“Vor jeder Pressekonferenz pauke er mit dem Präsidenten sorgfältig die zu erwartenden Fragen und gebe ihm auch die möglichen Antworten ein, etwa in der Form: „Herr Präsident, warum wollen Sie nicht sagen …“Das Magazin berichtete außerdem, daß die persönliche Sekretärin des Präsidenten, Frau Ann Whitman, bekannt habe: „Gewöhnlich entspricht die Antwort des Präsidenten dem, was James gesagt hat.“

Einige der interessanten „Verführer“, denen die Errichtung des Persönlichkeitsbildes für einzelne prominente Republikaner oblag, kommen aus Kalifornien. Daran mag die Tatsache schuld sein, daß dort das politische Klima ideal ist für den neuen Typ des Meinungskneters. Kalifornien hat keine Parteiapparate im herkömmlichen Sinne, die Wähler haben eine geringe Parteitreue, sie wechseln leicht zur anderen Seite, und viele sind verhältnismäßige Neulinge im Lande. Das hat sich als ideale Voraussetzung für die Niederlassung der politischen Presseagentur des Ehepaares Clem Whitaker und Leone Baxter erwiesen. Er ist ein schmächtiger, heiterer, weißhaariger Mann, sie eine attraktive Rothaarige. Sie haben miteinander fünfundsiebzig politische Wahlkampagnen gemanagt und davon siebzig gewonnen. Nach Time gebührt ihnen das Verdienst, viele der zahlreichen jungen politischen Berühmtheiten Kaliforniens „gemacht“ zu haben. In der Zeitschrift hieß es: Sie lehrten Earl Warren, wie er in der Öffentlichkeit lächeln muß und erkannten als erste den Werbewert seiner reizenden Familie. Sie brachten den ungestümen Goodie Knight mit einem erschöpfenden Redefeldzug an die Öffentlichkeit und haben seitdem ständig versucht, ein Auge auf ihn zu halten. Als der Bürgermeister von San Francisco, Roger Lapham, durch ein Abberufungsbegehren gefährdet war, retteten ihm Whitaker and Baxter den Posten …

Ein Reporter fragte sie einmal, ob sie ihren Rekord von siebzig erfolgreichen Wahlkampagnen auch erreicht haben würden, wenn sie für die andere Seite gearbeitet hätten. Frau Baxter erwiderte: „Ich bin überzeugt, wir hätten fast jede davon gewonnen …“

Als sie Goodwin J. Knight in Kalifornien zum Gouverneursessel geleiteten, hielten sie ihn für vier „Spots“ von je einer Minute Dauer fast den ganzen Tag vor den Fernsehkameras fest. Wenn sie eine Wahlkampagne übernehmen, bestehen sie darauf, die gesamte Strategie und den Ablauf zu bestimmen, sowie auf dem Einspruchsrecht gegen jeden Schritt, der das für den Kanidaten nach außen hin geschaffene Bild beeinträchtigen könnte. Bei einer Besprechung seiner Probleme mit einer Gruppe von Werbekollegen soll Whitaker geklagt haben, ein Kandidat sei nicht so einfach zu verkaufen wie ein Wagen, denn ein Auto sei stumm, aber ein „Kandidat“ kann einem mitunter eine Wahl kaputtreden, obwohl man im Hauptquartier des Wahlfeldzuges alles für ihn tut, was man kann.

Ein weiterer Kalifornier der neuen Art von Überredungskünstler ist Murray Chotiner, Rechtsanwalt aus Los Angeles, der Richard Nixon auf amerikanisches Starformat brachte und seinen Wahlfeldzug von 1952 führte. Wie das von Whitaker and Baxter, arbeitet auch sein Starformungssystem hauptsächlich außerhalb des Parteirahmens. Seine Arbeit trug so auffallende Früchte, daß er, ehe er beim Kongreß in schlechten Ruf geriet, als Dozent für die Wahlpropagandaschulen der Republikaner sehr gefragt war. Der Leiter der Wahlfeldzüge der GOP, Robert Humphreys, brachte ihn Ende 1955 nach Washington, wo er den Parteivorsitzenden der Einzelstaaten die „Grundlagen der Wahlorganisation“ eintrichtern sollte. Humphreys nannte ihn einen „Bombenkerl“ mit seinen bildhaften Hilfsmitteln und Hinweisen, wie man die Masseninformationsträger handhaben müsse.

Chotiners Technik bestand im Grunde darin, den Leuten zwei Bilder vorzuhalten: den guten Kerl (sein Mann) und den schlechten Kerl (der Gegner). Eines der Themen, zu denen er sich in seiner 12.000 Worte umfassenden Rede vor den Parteivorständen der achtundvierzig Staaten äußerte, betraf Anwendung und Abwehr der politischen Verleumdung. Und er sprach über die Kunst, durch Verwendung von rötlichem Papier dem Gegner einen Linksdrall zu unterschieben. Er sprach auch über die Methoden, wie man den Anschein von Forderungen der Allgemeinheit erweckt und durch geschickt gespielte Lauterkeit die Herzen des Volkes gewinnt.

Mr. Nixon, der Mann, der aus vielen, wenn nicht allen diesen Techniken den Nutzen zog, wird von aufmerksamen Beobachtern als eine neue Politikerrasse in Amerika beschrieben. Richard H. Rovere, politischer Essayist für The New Yorker und Harper’s sagte in seinem Buch Affairs of State, The Eisenhower Years: Richard Nixon scheint ein Politiker zu sein, der wie ein Werbefachmann an seine Arbeit herangeht. Politische Dinge sind Waren, die der Öffentlichkeit verkauft werden müssen – heute dies, morgen das, je nach Diskont und Marktlage. Er wechselt von der Einmischung (in Indochina) zur Nichteinmischung mit der gleichen Leichtigkeit und Bedenkenlosigkeit, mit der ein Werbetexter seine Loyalität von Camel- auf Chesterfield-Zigaretten überträgt. (Ein paar Tage nachdem ich das Obige gelesen hatte, erfuhr ich aus den Zeitungen, daß der Vizepräsident, geschäftig wie er ist, Zeit zu einer Ansprache bei der Feier der Markenartikelwoche im New Yorker Astoria-Hotel gefunden hatte.)

Als der Wahlfeldzug 1956 anlief, stellten die Parteiwortführer klar, daß die Zeiten der kurzen Halte des Wahlsonderzuges auf den Kleinstadtbahnhöfen und der Fackelzüge dahin seien. Der Präsident selbst sagte, er werde sich auf die Masseninformationsträger stützen, und sein Pressechef erwähnte, jeder komme mit einer Menge Ideen, wie die Wahlkampagne 1956 auf das neue Zeitalter, in dem wir uns befinden, „das Elektronenzeitalter“, ausgerichtet werden müsse. Das bedeute in erster Linie „Fernsehen“, durch das eine neue Sorte von Beratern für Meinungspflege in die Parteigremien gelangt war: der Fernseh- und Make-up-Berater. Als die Nation im Frühjahr sehr neugierig war, ob Präsident Eisenhower noch einmal kandidieren oder in Anbetracht seiner Erkrankung darauf verzichten würde, sahen Reporter am Tage vor der erwarteten Ankündigung über die Kandidatur den Fernsehberater des Präsidenten, Robert Montgomery, ins Weiße Haus gehen. Das war ein Wink, daß der Präsident auf dem Bildschirm erscheinen würde, und das wiederum bedeutete wahrscheinlich, daß er kandidieren werde. Die Ahnung war richtig. Nach jenem Auftreten erhielt übrigens Mr. Montgomery von der Fernsehkolumnistin der republikanischen Zeitung The New York World Telegram and Sun, Harriet Van Horne, einen Tadel. Sie erwähnte, Mr. Montgomery, „dessen NBC-Sendung ebenfalls eine Sache von B. B. D. & O. ist“, sei dazu da, den Präsidenten in bezug auf Beleuchtung, Make-up und Vortragsweise zu beraten, und sagte dann weiter: Und nun möchte ich mir ein paar Vorschläge an Mr. Montgomery erlauben. Erstens, Mr. M., muß diese hellumrandete Brille weg. Sie betont die natürliche Blässe jedes Menschen, der mehr als vierzig Winter auf dem Rücken hat. Helle Brillenfassungen pflegen außerdem jeden ziemlich blassen Träger noch mehr zu „verwässern“. Zweitens, sowohl die Beleuchtung als auch das Make-up – falls überhaupt der Präsident die Pfannkuchenschminke, in die er sich auf dem Chicagoer Parteitag widerstrebend gefügt hatte, gestattet haben sollte – schienen darauf angelegt, General Eisenhower blaß aussehen zu lassen. Ein soeben von einem Urlaub im Süden zurückgekehrter Mann sollte sonnengebräunt aussehen, Mr. Montgomery, und die Beleuchtung sollte die gesunde Farbe noch unterstreichen. (Der Präsident war zur Erholung in Georgia gewesen.)

Als die Republikaner im Wahljahr 1956 Pläne für eine „Sättigung der Nation“ mit Fernseh- und Rundfunkpropaganda machten, untersuchten sie beflissen, inwieweit die elektronischen Relais dem Persönlichkeitsbild des Kandidaten Abbruch täten. Ihre anfängliche Schlußfolgerung war: nicht viel. Eine sorgfältige Nachprüfung wurde vorgenommen, nachdem Präsident Eisenhower im Januar über Drahtfunkfernsehen zu 63.000 Teilnehmern an 53 Festessen gesprochen hatte. Der Parteivorsitzende Hall berichtete: Wir verschafften uns hinterher einen Überblick über die Wirkung und stellten fest, daß sie vollauf eingetreten war – die gleiche Rührung, die gleichen Tränen – genau als ob der Präsident in Person dagewesen wäre.Den wundervollen Vorzug des Fernsehens gegenüber den Sonderzughalten auf Kleinstadtbahnhöfen und den Straßenumzügen faßte der frühere Vorsitzende der GOP, Hugh Scott, in The New York Times Magazine zusammen: Sehen Sie, viele von uns können sich noch an den Hausierer erinnern, der von Tür zu Tür ging und Töpfe und Pfannen anpries. Heute wird ein einziger Fernsehwerbespruch „Kelley-Kessel kochen schneller“ mehr Kochtöpfe verkaufen als alle Hausierer von damals bis heute zusammengenommen.

Die Republikaner planten für den Endspurt der Wahlkampagne 1956 ein noch heftigeres „Sättigungs“-Trommelfeuer durch Funk und Fernsehen als 1952; damals hatte man mehr als eine Million Dollar wöchentlich großenteils für Kurzwerbungen von weniger als je einer halben Minute Dauer ausgegeben. Der Zweck war: man sollte ihnen nicht entrinnen können; sie wollten dem Durchschnittsmenschen täglich mehrmals eingehämmert werden. Dieses pausenlose Sperrfeuer hatte sich der Werbefachmann Rosser Reeves ausgedacht, der später seine Taktik wie folgt schilderte:

Ich stelle mir einen Mann in der Wahlzelle vor, wie er vor den zwei Hebeln der Abstimm-Maschine zögert, etwa wie in der Drogerie bei der Wahl zwischen zwei Tuben Zahnpasta. Seine Wahl wird auf die Marke fallen, die am tiefsten in sein Gehirn eingedrungen ist.

Bereits ein volles Jahr vor den Wahlen von 1956 ließ sich die GOP für zwei Millionen Dollar die besten Fernsehsendezeiten reservieren. (Das geschah durch B. B. D. & O.) Schlauerweise wählten die Republikaner die Zeitabschnitte vor und nach den beliebtesten Sendungen, wie Das ist dein Leben und Die 64.000-Dollar-Frage. Die Republikaner sagten sich, daß sie bei dem Versuch, in den Hauptempfangszeiten mit Darbietungen wie denen von Phil Silver und Jackie Gleason zu konkurrieren, nicht viele Leute dazu bringen könnten, eine halbstündige politische Rede anzuhören, ganz gleich, wie sorgfältig sie mit visuellem Beiwerk und Filmschlagern aufgemacht wäre. Der Public-Relations-Chef Guylay erklärte, die halbstündige Rede sei überlebt. Er unterstellte, selbst Lincoln würde das moderne Fernsehpublikum nicht in der Hauptsendezeit mit seiner zweiten Präsidentschaftsrede fesseln können. Die Republikaner sollten sich ausschließlich auf „Kurz-und-bündig“-Reden von fünf Minuten verlegen, „denn“, fügte er hinzu, „man kann in fünf Minuten wirklich eine ganze Menge sagen“. Die GOP-Strategen griffen bei der Erkundung des bestmöglichen Zeitraums, der sich für diese Fünf-Minuten-Sendung kaufen ließe, eine Idee auf, die sie für ganz großartig hielten: sie wollten die letzten fünf Minuten der großen Unterhaltungssendungen kaufen. Das verschaffe ihnen ein im Wesentlichen aufmerksames Auditorium, weil die meisten Leute es für zu spät halten würden, noch ein anderes Programm einzuschalten. In The Saturday Review schrieb John Steinbeck über die Aufnahmebereitschaft eines solchen Auditoriums, es sei durch einen „dicken Komödianten“ belustigt und schon halb hypnotisiert worden. Die Zeit nach einem derartigen Programm, sagte er, „ist sehr wertvoll, denn hier haben sie Millionen Menschen in einem willen- und hilflosen Zustand, unfähig, einer Suggestion Widerstand zu leisten …“

Eine Sache aber bekümmerte die praktischen Politiker draußen in den Landbezirken: die von Washington oder einer anderen Stadt außerhalb ihres Bundesstaates ausgestrahlten Fernsehsendungen beraubten sie des Vorteils, sich sozusagen an die Rockschöße des Präsidentschaftskandidaten hängen zu können. Früher hatte es ihnen Stimmen eingebracht und sozusagen den Rücken gestärkt, daß man sie im Wagen des Präsidentschaftskandidaten fahren oder mit seiner Hand auf ihrer Schulter in der Schulaula ihres Wahlortes fotografiert sah. Variety meldete Anfang 1956, dieses Problem nehme die ganze Aufmerksamkeit der für die Massenpropaganda zuständigen Republikaner in Anspruch, und sie glaubten, es wäre folgendermaßen lösbar: Der Präsident könnte, wenn er in Washington spricht, wichtige Kandidaten aus verschiedenen Staaten einladen, in seiner Nähe zu sitzen, und er kann sie dann den Wählern empfehlen. Auch könnten seine Reden so zurechtgestutzt werden, daß die örtlichen Kandidaten mit eigenen Ansprachen – Live, von Band oder mit Film – in die letzten drei oder vier Minuten der Reden des obersten Chefs als „cow catcher“ (kurze geschäftliche Durchsagen im Rundfunk) eingeblendet werden können.

Der Wahlleiter der Republikaner, Robert Humphreys, erläuterte diese Taktik näher, als er sagte, wenn er einen Kleinstadtladen besäße, würde er sein letztes Hemd versetzen, um „ein Fünfzehn-Sekunden-Spot direkt hinter Godfrey kaufen“ zu können. Bedenken Sie nur, fügte er hinzu, ein Senator oder ein Kongreßabgeordneter am Ort kann als Mitglied des Teams „direkt hinter Ike einen Fünfzehn- oder Zwanzig-Sekunden-Spot für sich selbst einblenden“. Vorsichtigerweise setzte Mr. Humphreys hinzu: „Das muß er natürlich selbst bezahlen.“ Der Republikanische Parteitag 1956 in San Francisco lieferte geradezu einen Modellfall der neuen Methode, einen Präsidenten zu nominieren, was der Überlieferung gemäß sonst ein demokratisches und oftmals gewalttätiges Verfahren war. Sogar die Geistlichen übernahmen in die Eingangs- und Schlußgesänge der Fernsehgottesdienste die Hauptslogans der GOP. Der Mann, der die Produktion überwachte – er wurde regelrecht als „Produzent“ der Veranstaltung bezeichnet –, war der Hollywoodschauspieler und Public-Relations-Direktor der Metro-Goldwyn-Mayer, George Murphy.

Mr. Murphy schien alle Delegierten als Darsteller in seinem Superkolossalschauspiel zu betrachten. Eine dunkle Brille tragend, stand er ein paar Schritt hinter der Rednertribüne. Berichterstatter beobachteten ihn, wie er „fachkundig die Regiezeichen für Tuch, Stretch-out und Abblenden gab. Die Delegierten bekamen ihre Einsatzzeichen mit dem Orchester zusammen.“ Er geriet in geradezu wütende Aktivität, als ein Delegierter aus Nebraska „Joe Smith“ als Vizepräsidenten zu nominieren versuchte, und zwar aus Protest gegen die GOP-Strategen, die auf Abstimmung per Akklamation bestanden. Schließlich schaffte Mr. Murphy den widerspenstigen Delegierten mit Hilfe anderer Männer aus dem Saal.

Die Anträge des Parteitags von 1956 waren sorgfältig vorher festgelegt, anders als beim Parteitag des vorhergehenden Jahres, wo es über die Einreichung von Anträgen oft zu erbitterten Kämpfen gekommen war. The New York Times schrieb: „Häufig muß der Vorsitzende … die Antragsteller aufrütteln, damit sie ihre Anträge stellen. Eine weitere Neuerung war die Zulassung von Außenstehenden zum Parteitag. Nicht genug, daß es keine beglaubigten Delegierten waren, bekannten viele obendrein offen, sie seien nicht einmal Republikaner. Angeblich handelte es sich um klardenkende „Bürger“, die eifrig irgendwelche Anträge unterstützten. „bTimes bemerkte, daß sie „in Wirklichkeit zusätzliche Werbesprüche für die Regierung beisteuerten“. Ungeachtet aller dieser unverkennbaren Fortschritte in der Zähmung der Politiker war Mr. Murphy mit den in San Francisco erzielten Resultaten noch nicht zufrieden. Den leitartikelnden Brüdern Alsop sagte er im Vertrauen, wollte man auf ihn hören, dann würden Parteitage so inszeniert, wie sie inszeniert werden müßten: in einem richtigen Theater, mit einem richtigen Regisseur und Generalprobe. Bis dahin aber wäre er schon über eine Versenkung auf der Rednertribüne glücklich, um die Politiker verschwinden zu lassen, die es sich nicht verkneifen können, die zugestandene Redezeit zu überschreiten.

Das Bestreben, die politische Überredung mit Hilfe sorgfältig inszenierter Veranstaltungen zu bewerkstelligen, griff auch auf die Wahlkampagne selbst über. Für ihr großes Treffen in Philadelphia, auf dem Mr. Eisenhower besonders herausgestellt werden sollte, arbeiteten die Republikaner ein 32 Seiten starkes „Drehbuch mit Zeitplan“ aus, das auch die Verteilung von „würdigen Beifallsspendern“ unter der Zuhörerschaft vorsah. Der Höhepunkt der Kundgebung am Vorabend der Wahl mit der Verherrlichung Eisenhowers und Nixons jagte selbst der GOP-freundlichen Fernsehkolumnistin Harriet van Home einen Schrecken ein. Sie nannte die kleinen Ansprachen wahrscheinlich typischer Bürger „offenkundig einstudierte und den Anzeigen der Tabakindustrie entliehene Anerkennungsäußerungen“. Roscoe Drummond, einer der wärmsten Eisenhowerbewunderer unter den politischen Leitartiklern, verriet, daß man beim Wahlkampf den Nachdruck „weniger auf Reden als auf die persönlichen Auftritte“ gelegt habe. In einer Fernsehsendung, in der Eisenhower eine halbe Stunde auftrat, sprach er nur eine Minute lang. Der Fernsehkolumnist der New York Times beschwerte sich, daß manches in dem von der GOP aufgezogenen Theater an „peinliche Vergötterung“ grenze. Die zugunsten von Mr. Eisenhower geübte Werbetechnik wurde vielleicht am besten durch ein kurzes „Spot“-Fernsehspiel demonstriert, in dem ein angeblicher Taxichauffeur mit seinem Hund abends im Park gegenüber dem Weißen Haus spazierenging. Der Mann schaute sehnsüchtig auf das erleuchtete Fenster im Weißen Haus und sagte inbrünstig: „Ich brauche dich!“ Ein Fernsehregisseur, der dem Weißen Haus bei einigen Sendungen mit Eisenhower geholfen hatte, war in der Tiefe seines Herzens ein Stevenson-Anhänger. Er rechtfertigte seine Mitarbeit, indem er dem Verfasser gegenüber erklärte: Die amerikanische Öffentlichkeit ist so an Schnulzen gewöhnt, daß man sich zumindest auf das im Fernsehen erwartete Schnulzenniveau begeben muß, ehe man mit seinem Anliegen „ankommt“.

In den letzten Tagen des Wahlkampfes, als das gewaltige und besondere Problem der Republikaner darin bestand, die Nation zu überzeugen, daß Eisenhower trotz seiner zwei schweren Erkrankungen sich einer robusten Gesundheit erfreue, verließen sie sich etwas weniger darauf, Mr. Eisenhower auf dem Bildschirm zu zeigen. Das Fernsehen pflegte nämlich – trotz Mr. Montgomerys Regiekünsten – den Präsidenten ein bißchen blasser wirken zu lassen, als den GOP-Strategen genehm war. Man sorgte deshalb mehr für öffentliches „Auftreten“, bei dem der Präsident winkte, vergnügt lächelte und vielleicht ein paar Worte sagte.

Vorwort von Michael Schirner zu Vance Packard, Die geheimen Verführer, Düsseldorf, 1992, ISBN 3-430-17325-6

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