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GOTT

Anzeige für die Herrenkosmetikserie Care, 1985

Anzeige für die Herrenkosmetikserie Care, 1985

Mir jedenfalls war der Gott der Geschichte immer ein angenehmer Auftraggeber, auch wenn seine Marketingabteilung manchmal etwas nervte

Michael Schirner

Woher kommt die Aufmerksamkeit, die nackte Männer in der Werbung auf sich ziehen? Man könnte glauben, der nackte Mann sei deswegen so interessant, weil die nackte Frau, erst Symbol sexueller Revolution, dann männlicher Verfügbarkeitswünsche, nichts mehr bewegt. Aber das stimmt nur zum Teil. Denn bevor der nackte Mann zur Projektionsfläche von Wünschen und Träumen wird, bevor er überhaupt irgendeinen Bedeutungsinhalt bekommen kann, wird an ihm zunächst nur seine Ungewöhnlichkeit wahrgenommen. So werden zunächst nicht der besondere Körper, der besondere Ausdruck, die Art der Fotografie etc. wahrgenommen, sondern nur die nackte Tatsache der Nacktheit. Der Erfolg und die Beachtung des nackten Mannes sind also nur zu erklären, wenn man bedenkt, was unter dem Titel ›nackt‹ in den Köpfen der Leute abgelegt ist, insbesondere im Zusammenhang mit der Werbung. Da denkt man an Sprüche wie den vom nackten Mann, dem man nicht in die Taschen greifen kann. Oder an die Vorstellung, Werbung baue eine Fassade, eine vorgeschobene, eine täuschende Verhüllung auf. Beides sind Ideen und Vorurteile, die durch nichts so herausgefordert werden können, wie durch die Verwendung des symbolischen nackten Mannes in der Werbung. Kaum eine Idee von der Werbung hält sich so renitent wie die, dass die Werbung eine artifizielle Welt um den Menschen herumbaue. Konkurrieren kann mit diesem hartnäckigen Vorurteil, demzufolge die Werbung den Menschen etwas verkaufen wolle, was sie gar nicht brauchen, dass nicht die realen Bedürfnisse der Menschen befriedigt werden, sondern solche, die erst die Werbung erfunden hat, nur das.

Genau diesen Ideen und Vorurteilen tritt die Werbung selbst entgegen, wenn sie den nackten Mann in den Mittelpunkt stellt, das heißt, in einem Moment, wo die Künstlichkeit der Werbewelt ihren Höhepunkt erreicht hat, ja als solche fast schon akzeptiert ist, trägt sie plötzlich das ursprüngliche, archaische, unkünstlichste Bild vor, das man sich vorstellen kann: den nackten Körper. Ein Geschäft wie die Werbung, deren Alltag doch der geläufigen Vorstellung zufolge darin besteht, sich Verpackungen, Verkleidungen, ja Masken auszudenken, plädiert plötzlich für den Naturzustand, darin den subtilen sozialen Veränderungen, die sich in unserem Empfinden um den Widerspruch Enthüllung/Verhüllung bilden, Rechnung tragend. Bei unserer Kampagne für Care haben wir es ja nicht zuletzt mit einer Produktgattung zu tun, die bereits heute Merkmale enthält, die für viele Produkte der Zukunft bezeichnend sein werden. Denn unser Parfüm ist ja kaum noch als materielle Substanz begreifbar oder zu bewerten. Es ist ein zartes Duftwasser, das kaum in seiner Substantialität, die eher als flüchtig empfunden werden dürfte, Material für Werbung bietet. Und auch der Produktnutzen, eben der angenehme Geruch, gehört zu den ephemeren, schwer zu beschreibenden oder gar zu dramatisierenden, fast schon mystischen Nutzen, die den Produkten der Zukunft anhaften werden. Diese Tendenz zum Immateriellen ist der unangezweifelte Trend zu sogenannten postmodernen Produkten, von denen das Parfüm ein längst eingeführter, sozusagen klassischer Vorläufer ist, die aber in Zukunft, wo der Konsum immaterieller Werte für Ökonomie und Lebensart ungleich wichtiger sein wird als klassische materielle Produkte mit einem offensichtlichen, beweisbaren Nutzwert, auch das Gesicht und die Strategie der Werbung bestimmen werden. In immer mehr Bereichen des Lebens und der Kultur sehen wir heute, dass nicht wegen eines erwarteten Nutzwerts oder gar eines kalkulierten Verhältnisses zwischen Nutzwert und Preis ein Produkt erworben wird, sondern ausschließlich wegen der auratischen, immateriellen Eigenschaften. Dieser Trend gilt besonders für und schon länger in der Jugendkultur. Deren Verhaltensweisen dürften sich aber bei wachsender Prosperität; geringeren Arbeitszeiten etc. in einer postindustriellen Dienstleistungsgesellschaft auch als Mehrheitskultur durchsetzen. Produkte werden sich also durch das konstituieren, was über sie geredet wird, nicht so sehr durch das, was sie wirklich sind: Sie ähneln also mehr und mehr den Kleidern des berühmten Kaisers in dem berühmten Märchen. Exakt diese Kleider trägt unser Care-Mann. Er trägt sie stolz und sozusagen präventiv gegen einen billigen Vorwurf. Er wird so zum Helden der Postmoderne. Den nackten menschlichen Körper und insbesondere den des Mannes wollen wir aber nicht allein der Autorenschaft gewisser weitblickender oder entscheidungsfreudiger Einzelner unterschieben. So etwas kann sich kein Einzelner allein ausdenken, geschweige denn durchsetzen. So etwas will die Geschichte selbst. Die Kontinuität dieser Entblößung, ihre Umwege, ihre Zähigkeit, aber auch ihre Zielstrebigkeit machen klar, dass es sich hier um ein Produkt der Geschichte handelt. Oder besser des Gottes der Geschichte. Jeder, der da eine Teilentkleidung vornehmen darf, ist nichts anderes als ein Helfershelfer dieses Gottes. Was für jemanden, der Werbung macht und mit der Situation, anderer Leute Interessen mit guten Ideen umzusetzen, vertraut ist, eine gute Ausgangslage ist. Mir jedenfalls war der Gott der Geschichte immer ein angenehmer Auftraggeber, auch wenn seine Marketingabteilung manchmal etwas nervte. Das Projekt Striptease begann der Gott der Geschichte mit den Frauen. Aber er hatte nicht damit gerechnet, dass die Frauen nur allzu bereit waren mitzumachen. Ihre Bereitschaft, Hüllen fallen zu lassen, brauchte gar nicht erst hergestellt zu werden, denn ihnen war klar, dass sie so das Vorurteil, sie stellten das schöne Geschlecht, für alle Zeiten festschreiben könnten. So war der Gott der Geschichte von den Frauen recht schnell gelangweilt. Erschwerend kam hinzu, dass das Reaktionsspektrum auf eine Nackte bei den, ihrerseits dem berechenbaren Verhalten des Stichlings nicht ganz unähnlichen Männern, äußerst begrenzt ist: Entweder eine Nackte regt sie an oder sie verursacht ihnen Schamgefühl wegen ihrer Erregtheit. Diese Begrenztheit der möglichen Reaktionen hat ihre Ursache im Übrigen nicht nur darin, dass Männer primitiven Reaktionsschemata folgen, sondern auch darin, dass der Effekt ›nackte Frau‹ ziemlich verbraucht ist und lediglich in der Werbung mit einem gewissen Neuheitswert rechnen konnte. Von mir wollte der Gott der Geschichte folgendes: Ich hatte die ehrenhafte Aufgabe, den Menschen Stück für Stück zu entblößen, eine reizvolle Aufgabe, wie sich denken lässt. Den ersten Schritt tat ich 1971 – übrigens in meiner ersten eigenen Agentur – mit einer Anzeige für die 8 X 4 Deo-Seife mit der Überschrift »Das neue 8 X 4 Intensiv-Deo für den ganzen Körper. Denn Sie schwitzen nicht nur unter den Armen« und Abbildungen von Körperpartien eines Mädchens, bei denen steht »Nicht nur hier«, »sondern auch hier«, »und hier«, »und hier« etc. Diese Anzeige gefiel Arno Schmidt so, dass er sie als Illustration für sein Buch »Abend mit Goldrand« benutzte – ein schönes Beispiel für die These meines Buchs »Werbung ist Kunst«. Der zweite Schritt war ein ausgesprochen altmodisches, unphilosophisches Produkt mit klassischem Nutzwert: das Servus-Toilettenpapier (Abb. 2). Das zu enthüllende Körpergebiet war der Po, ein Körperteil, der stark der Verherrlichung bedurfte. Wäre der Po nichts Besonderes, gäbe es ja auch keinen Grund, ein besonderes Toilettenpapier herzustellen oder zu verlangen. Deswegen gaben wir dem Po durch seine behutsame Enthüllung die benötigte individuell-glorifizierte Qualität, die aber nur denkbar war im Zusammenhang mit dem Toilettenpapier, das ihn adelte.

Dann kam die Kampagne für das Ätherische schlechthin, die Duftstoffe von Henkel, die wir mit Nasenspitzen bewarben. Dann kam Creme 21, in gewissem Sinne ein Rückschritt, mit dem mich der Gott der Geschichte prüfen wollte. Denn hier sollte noch einmal eine reale Qualität nackter Haut im Mittelpunkt stehen, ihre weiche, empfindliche Beschaffenheit. Diese Aufgabe wurde ohne Murren erledigt, indem wir nicht die Nacktheit des abgebildeten Körperausschnitts betonten, sondern den Cremetupfer, der ihn weihte (Abb. 3). Wichtig: Auch hier wurde weiterhin partikular und nicht total entblößt.

Der nächste Schritt war die erste Etappe der Care-Werbung. Unbekleidete Männer, die immaterielle, auratische Produkte tragen und dadurch ein Selbstbewusstsein ausstrahlen, das keine andere sichtbare Ursache haben kann, als die durch eine Care-Flasche erworbene Aura. Dennoch war uns dieser Nackte noch zu sehr ganzheitliches Individuum sein Selbstbewusstsein war noch so stark, sein Charisma noch so vereinheitlichend, dass seine Nacktheit noch nicht ausdrücklich genug erschien. Daher haben wir für die Herrenpflegeserie von adidas nur einzelne Körperpartien fotografiert, die in ihrer Einzelhaftigkeit ohne den sinnstiftenden Schutz des Zusammenhangs erst völlig die Nacktheit zum Ausdruck brachten. Und bei der zweiten Etappe der Care-Kampagne konnten wir das Monument für die beschriebenen Zusammenhänge vollständig enthüllen, indem wir beide Ideen zusammenbrachten: ein komplett nackter Mann, aber konterkariert durch eine besondere, partikularistische Eigenschaft, die deutliche Enthüllung des partikularsten aller männlichen Körperteile, des Penis. Und damit sind wir mit einem Auftrag des Gottes der Geschichte zum Ende gekommen, der stückweisen Eroberung der Nacktheit als Qualität, die eine aufklärerische, enthüllende ist, um andererseits einen neuen Auf- trag auszuschreiben: den postaufklärerischen, wo nur noch nackte Aura zählen wird, die sich aber nicht mehr mit Techniken der Entblößung erzielen lassen wird, und bei der wir alle uns um neue Formen der Sichtbarmachung des Unsichtbaren werden kümmern müssen. Endgültig festgestellt haben wir aber auch, dass nicht nur die Frauen für sich beanspruchen können, das schöne Geschlecht zu sein. In Zukunft gibt es davon mindestens zwei. Dass das so ist, ist das Verdienst einer Frau, Claudia Hammerschmidt, meiner Artdirektorin, mit der ich die Care-Kampagne machte. Aber wie das so ist, das Ende bringt die Wende. In diesem Jahr hatte ich die Gelegenheit und in gewissem Sinne traurige Pflicht, noch einen Schritt weiter und im selben Moment einen zurück zu tun.

Wir hatten ja gesagt, dass der Triumphzug des Unsichtbaren und gewisser anderer postmoderner Werte der Prosperität und einer gewissen, nach den Konjunkturregeln immer unwahrscheinlichen Ungestörtheit der materiellen Basis bedarf. Entwicklungen, die über Grenzen hinausgehen, können keine Katastrophen gebrauchen. Der Triumphzug des Kapitalismus wäre schneller vorangegangen, wenn ihn in seiner Frühzeit nicht ständig die Pest und andere Seuchen gestört hätten. Nun ist die Katastrophe da, jeder kennt ihren Namen und auch ich hatte jetzt damit zu tun. Nein, nicht wie Sie denken. Die Zeitschrift Stern, für die ich Werbung mache, bat uns, eine Aids-Aufklärungskampagne zu machen. Wir dachten uns, dass Werbung gegen Aids keine Werbung gegen, sondern für Sex sein muss. Unser Motiv für alle Anzeigen war natürlich ein erigierter Penis. Es gab also noch eine Steigerung der Entblößung, es gab also noch eine Steigerung der Partikularisierung und damit des Eindrucks der Nacktheit. Doch die traurige, aber notwendige Pointe dieser Geschichte besteht darin, dass noch etwas auf unseren Anzeigen zu sehen ist, ein Kondom, wie Sie geahnt haben werden. Ein Kondom, das gerade im Begriff ist, über den erigierten Schwanz gestreift zu werden. In der letzten Enthüllung ist also die Ankündigung neuer Verhüllung und Verpackung, eine Wiederkehr mithin der klassischen Situation angedeutet. Wir hatten sogar überprüft, ob wir den Penis ganz vom Kondom verhüllt abbilden sollten, haben aber dann Abstand davon genommen. Nicht nur, weil das einfach zu scheußlich aussieht, wie die Safer-Sex-Anhänger unter Ihnen sicherlich gern bestätigen werden.

 

Beitrag aus Michael Schirner, Werbung ist Kunst, mit einer Einführung von Hans Ulrich Reck und einem Titelbild von Albert Oehlen, Klinkhardt & Biermann, München 1988

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