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WERBUNG IST KUNST

Michael Schirner

Michael Schirner, Werbung ist Kunst, mit einer Einführung von Hans Ulrich Reck und einem Titelbild von Albert Oehlen, Klinkhardt & Biermann, München 1988

DAS JÜNGSTE GERICHT

Michael Schirner

Der Verband der Außenwerbung hatte mich eingeladen, zu seiner Jahreshauptversammlung einen Vortrag zu halten. Das war 1977 in Stuttgart.

Ich hatte ein paar Dias dabei, auf denen die Kernsätze meines Vortrags standen. Zu jedem Dia erzählte ich ein bisschen. Auf dem ersten Dia stand der Satz, der im Publikum und dann in der Werbebranche und in den Medien einen lustvollen Schmerzensschrei auslöste: „Werbung ist Kunst“. Das erläuterte ich: „In den 60er Jahren machten Künstler den letzten Versuch, sich gegen die faszinierenden Bilder der Werbung durchzusetzen. Sie probierten es mit einem Trick; sie malten die populären Bilder der Werbung auf ihre Leinwände und nannten das Pop-Kunst. Die Pop-Künstler waren der Faszination Werbung erlegen, sie wurden ihr Opfer. Als sie merkten, dass sie der Werbung mit Campbell-Suppendosenbildern und Coca Cola-Flaschen-Siebdrucken auf Leinwand nicht die Schau stehlen konnten, zogen sie sich vollends aus der Öffentlichkeit zurück und beschäftigten nur noch mit sich selbst, was sie Konzeptkunst nannten. Die Kunst, die Werbung malte, war die letzte Kunst die auffiel. Seitdem fand die Kunst ausnahmslos unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Ich wechselte das Dia und da stand „Konrad Henkel ist Julius der Zweite“. Das war etwas übertrieben, denn Henkel war nun wirklich nicht für die Schönheit der deutschen Werbung bekannt. Das überging ich mit dem Dia: „Die Renaissance der Renaissance“ und verkündete, Männer wie Konrad Henkel spielten heute die Rolle, die Julius der Zweite, Giuliano de‘ Medici und Francesco Sforza in der Renaissance gespielt hatten. Die Adligen und Kirchenfürsten der Vergangenheit sind heute die Wirtschaftsfürsten, die Mäzene, die Werbekünstler beauftragen, die Größe, die Klugheit und die Taten der Unternehmen für alle Welt sichtbar darzustellen. Und da die Taten der Fürsten heute ihre Produkte sind und das Mittel, die Produkte kunstvoll auszudrücken, die Werbung, ist Werbung als Mittel der Selbstdarstellung der Wirtschaftsfürsten an die Stelle der Kunst getreten.

Ich sagte, das Jüngste Gericht von Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle sei heute der außen knusprige, innen zarte Kartoffelpuffer von Pfanni und zeigte das Dia mit der Abbildung unseres Pfanni-Großflächenplakats mit dem riesigen Kartoffelpuffer und der Überschrift „Das jüngste Gericht“

Ich nutzte die Gelegenheit, um mit den Unternehmern im Publikum ein wenig ins Gericht zu gehen; ich wollte ihnen angesichts des knusprigen Kartoffelpuffers Appetit machen auf ihre Rolle als Fürsten der Wirtschaft, die sich fürstlich verhalten, wenn es um ihre Werbung geht. Das forderte ich mit dem nächsten Dia: „Begreifen Sie, dass Ihre Werbung Ihre Kunst ist, dass Sie der Mäzen Ihrer Werbekunst sind, dass diese Kunst Ihre Größe, Ihre Intelligenz, Ihre Sensibilität ausdrückt, dass sie Ihr Denkmal ist, Ihr Petersdom.“ Und den Textern und Art Direktoren in den Werbeagenturen rief ich zu: „Begreift, dass Ihr die Raffaels von heute seid und Eure Plakate, Anzeigen, Filme die Skulpturen und Paläste des Jahrhunderts sind.“

Weil das Publikum offensichtlich gefallen an meinen Ausführungen fand, ging ich noch etwas weiter und verteilte die Rollen der Leute in der Werbebrache neu, entsprechend der Funktionen, die sie in der Werbung als Kunst ausüben. Den Kontaktern – den Verkäufern von Werbung – sagte ich, dass sie Kunsthändler seien, weil sie die Agenten der Werbekünstler sind. Die Media-Leute, die dafür sorgen, dass die Werbekunst in Medien und Öffentlichen Räumen ausgestellt wird, ernannte ich zu Museumsdirektoren. Die Marketing-Leute und Marktforscher ernannte ich zu Kunsthistorikern; das Historische an ihnen sei ihr altmodisches Instrumentarium – die Strategien, Positionierungen, Marktmodelle, Befragungen, Tests etc. – mit dem sie der Werbekunst den Anschein von Wissenschaftlichkeit geben wollen. Da aber Kunst sowieso ohne Wissenschaft auskommt, machten Marketing-Leute ohnehin L’art pour l’art.“ Zu Schluss eröffnete ich das größte Museum der Welt, in das sie das Publikum stolz und glücklich begab.

 

Beitrag aus Michael Schirner, Werbung ist Kunst, mit einer Einführung von Hans Ulrich Reck und einem Titelbild von Albert Oehlen, Klinkhardt & Biermann, München 1988

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