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NACHRUF

Anzeige für Jägermeister mit Paul Gredinger, dem 2. G von GGK und dem 1. von allen, 1973

Paul Gredinger auf der 1. von 3.637 Jägermeister Anzeigen, 1973

DEAR PAUL

Michael Schirner

 

Hans Suter auf Facebook: „Paul Gredinger ist tot. Paul ist am 6. Oktober im Spital in Thalwill gestorben. An Krebs, ohne Schmerzen. Er war 86. Gefragt, wie Sterben ist: „Kein Missvergnügen. Ich bin allein mit dem, was in meinem Kopf ist.“ Heidi Dierauer, seine Lebensgefährtin für 53 Jahre, sagt, dass es keine Beerdigung oder Feier geben wird.

Paul Gredinger, mein Vater, Vorbild, Mentor, bester Freund, dem ich alles, was ich wurde, verdanke, hatte eine wunderschöne Maxime: „Für alles, was ich tun könnte, gibt es jemanden, der es besser machen kann als ich. Also soll er es machen.“

Er wollte mich als Leiter seiner Düsseldorfer GGK Werbeagentur haben. Er schrieb 3 Ziele auf eine Serviette: 1. Gute Stimmung in der Agentur, 2. Die besten Kampagnen, 3. Nicht um Profit kümmern; der kommt von selbst. Und er versprach: „Du kannst machen, was Du willst. Ich werde mich nie einmischen.“ Weil er mich machen ließ und die Mitarbeiter und Auftraggeber der Agentur mitmachten, wurden wir bald die kreative Nr. 1 und bekamen die meisten Auszeichnungen.

„Zur Uel“ ist eine Düsseldorfer Altstadtkneipe auf der Ratinger Straße, in der überwiegend jüngere Leute an blankgescheuerten Tischen zum Beispiel Pellkartoffeln mit Quark essen – zu Altbier und Zwickel. Dort ging Paul früher ab und zu hin. Eines Abends trank er ein bisschen mit der Wirtin. Sie sagte: „Du hast’s gut mit Deiner Agentur; mit Dir würde ich gern tauschen.“ Und er: „Tu’s doch. Du gehst für ein paar Tage in die Agentur und spielst Paul Gredinger. Und ich komm in die Uel und mach‘ Deinen Job.“ Am nächsten Tag saß sie in der Agentur in seinem Sessel. Doch obwohl sie alle Vollmachten hatte, wollte sie nicht Gebrauch davon machen. Weder verkaufte sie die Agentur, noch gab sie den Mitarbeitern einen Tag frei. Er fühlte sich auch nicht wohl hinter der Theke, seine größte Sorge war, beim Zapfen keinen Tropfen Bier zu verschütten.

Paul war Architekt, der nie ein Haus gebaut hat. Zwei Jahre war er angestellt in einem Schweizer Architekturbüro, da bekam er den Auftrag für ein Haus. Als es ans Bauen gehen sollte, machten ihm Gerstner und Kutter das Angebot, in ihrer Agentur zu arbeiten, was er nicht ablehnen mochte, und einen befreundeten Architekten bat, für ihn die Bauleitung zu übernehmen. Er vermied es mit Fleiß, sich das Haus je anzuschauen, was ihm nicht leichtfiel, weil das Haus in Chur steht, wo er damals lebte. „Ich würde lieber sterben als hinsehen. Bei einer Anzeige, die man gemacht hat, geht es noch; die ist schnell weg und vergessen, aber so ein Haus …“ Es soll übrigen sehr schön sein.

Bilder hat er auch gemalt und bei Hans Mayer in Düsseldorf ausgestellt. Als niemand kaufte, machte er in der Galerie eine Versteigerung. Er ließ von oben nach unten steigern wie bei Gemüse, das schnell wegmuss. Er fing mit 5.000 Mark an, ließ unterbieten bis zu einem Minimum, das dem Publikum nicht bekannt war, und wenn dieser Preis unterboten wurde, nahm er eine Axt und zerhackte sein Bild. Das tat ihm ziemlich weh – dem Publikum auch – und führte dazu, dass die Leute kauften.

Zur Musik kam er durch eine Kleinanzeige und einen Irrtum. Auf der Anzeige waren Tage der elektronischen Musik in Tossingen angekündigt. Dort angekommen, merkte Paul den Irrtum: Die Firma Hohner, die Zieh- und Mundharmonikas macht, veranstaltete die Tagung, um eine neue Heimorgel vorzustellen. Doch der Irrtum hatte sein Gutes. Auf der Tagung lernte er Meyer-Eppler kennen; der brachte ihn zum Studio für elektronische Musik in Köln. Dort arbeitete Paul dann ein Jahr an den riesigen Bandmaschinen im Funkhaus.

„Dear Paul, if you move to warmer climate you might start writing music again. Would love to hear it“ schrieb John Cage.

Ich wette, dass die beiden jetzt Stücke schreiben, die nie enden.

Michael Schirner, Berlin, 9. Oktober 2013

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