TEXTE

BLACK WHITE BOOKS

Michael Schirner

Black White Books, Michael Schirner und Studierende der HAWK Hildesheim, 2019

DAS GGK-PRINZIP

Michael Schirner

Paul Gredinger, das zweite G der GGK Werbeagentur, mein Vorbild, Mentor, bester Freund, dem ich alles, was ich wurde, verdanke, wollte mich als alleinigen Geschäftsführer und Kreativchef seiner GGK Düsseldorf. Das war Ende 1973. Er schrieb mir 3 Ziele auf eine Serviette: 1. Gute Stimmung in der Agentur, 2. Die besten Kampagnen, 3. Nicht um Profit kümmern, der kommt dann von selbst. Und er versprach „Du kannst machen, was du willst, ich werde mich nie einmischen.“ Weil er mich machen ließ und die Mitarbeiter*innen in der Agentur und unsere Auftraggeber*innen mitmachten, wurde GGK die kreativste und am häufigsten ausgezeichnete Agentur.

Dass wir die kreative Nr.1 wurden, lag nicht nur an unseren Ideen. Entscheidend war, dass wir die Auftraggeber*innen von unseren Ideen überzeugen konnten und sie eine Menge Geld ausgraben, um die von uns vorgeschlagenen Kampagnen in den Medien zu veröffentlichen. Und dass wir Unternehmen wie adidas, VW, Jägermeister, IBM von unseren Konzeptideen begeistert konnten, verdanken wir dem ersten G von GGK, dem Künstler und Designer Karl Gerstner. Denn er erfand eine geniale Methode für die Präsentation unserer Kampagnenkonzeptionen vor Leiter*innen von Unternehmen und Institutionen, die nach unserer Präsentation regelmäßig applaudieren und es kaum erwarten können, dass unsere Anzeigen, Plakate und Filme in den Medien erscheinen und Aufsehen im Publikum und in der Branche auslösen.

Was man für eine Konzeptpräsentation nach der Methode von Gerstner braucht, das sind 3 Dinge: ein schwarzes Präsentationsbüchlein, eine schwarze Kiste für Präsentationstafeln und eine ebenso schwarze leinene Tragetasche für die Kiste mit den Büchlein und Tafeln. Die Kiste wurde liebevoll „Sarg“ genannt. Das klingt einfach, doch diese drei Dinge haben es in sich: Jede Seite des DIN A4-Präsentationsbüchleins mit Kunststoffspiralbindung zeigt am oberen Rand eine feine durchgezogene Linie. Über der Linie stehen nicht mehr als zwei, drei Worte, unter der Linieein kurzer Textblock. Auf der ersten Seite jedes Büchleins steht über der Linie immer „Die Aufgabe lautet“, auf der zweiten Seite „Wir überlegten uns“. Die Texte auf den Seiten sind kunstvolle Beispiele einer bis auf ein Minimum reduzierten Literatur, die das Publikum in klarer, einfacher und verständlicher Sprache mit spannender Dramaturgie in die Gedanken, die zu der Kampagne geführt haben, einbezieht, wobei das Ende jedes Textblöckchens zur nächsten Seite überleitet und so Seite für Seite, Schritt für Schritt auf dem Weg zum Höhepunkt – den Layouts der von uns entwickelten Anzeigen-, Plakatmotive und Storyboards – führt. Das Faszinierende dabei ist, dass die Bilder und Texte der Kampagnenwerbemittel, noch bevor sie gezeigt werden, durch den Präsentationstext im Kopf der Leser*in entstehen und so zu einem Teil von ihr werden und sie das Gefühl hat, sie sei  Schöpfer*in der gezeigten Bilder und Texte ihrer Kampagne, die sie stolz in den Medien veröffentlichen wird, um aller Welt zu zeigen, was für eine tolle Kampagne sie für ihr Unternehmen macht. Das Pr.sentationsbüchlein schrieb ich in der Regel am Tag oft bis in die Nacht vor der Präsentation, wenn die letzten Layouts der Kampagnenwerbemittel von der Grafik fertiggestellt wurden.

Die Grafik kaschierte – wie damals in den 70er, 80er und 90er Jahren üblich – nicht nur die Ausdrucke der Kampagnenlayouts auf DIN A2-Tafeln, sondern auch die Vergrößerungen der Textstücke aus dem Büchlein. Jede Texttafel zeigt die erwähnte feine Linie im oberen Teil des Formats. Da die Textblöcke im Buch ziemlich kurz sind, ergibt ihre Vergrößerung aufs Format der Tafel einen auch aus der Entfernung gut lesbaren Text. Die Tafeln werden in die DIN A2-Präsentationskiste und der Sarg wird in die vom Buchbinder eigens dafür gefertigte Tragetasche aus grobem, schwarzen Leinen gepackt. Bei der Präsentation der Text- und Bildtafeln zeigt sich, wie praktisch Gerstners Sarg- Design ist: Man legt die Kiste flach auf den Tisch des Besprechungsraums des Auftraggebers, zieht an einem kleinen Stück Textil den Deckel der Kiste hoch, so dass ein Aufsteller entsteht, dessen vorderer Teil ein Fach für die Tafeln bildet, während der hintere Teil als Stütze dient, die das Ganze hält, und ebenfalls als Fach für Tafeln gemacht ist.

 Vor Beginn der Präsentation weise ich darauf hin, dass dies eine Lesepräsentation ist, das heißt, ich den Text jeder Tafel vorlese und bitte, die Texte auf den Tafeln mitzulesen; die Lesepräsentation habe den Vorteil, dass sich durch das Vorlesen und gleichzeitige Mitlesen – durch Hören und Sehen des Texts – der Inhalt der Präsentation fest in den Köpfen verankert. Dabei sitze ich neben dem aufgestellten Sarg mit den Tafeln, lese den Titeltext der ersten Tafel vor, nehme die Tafel aus dem vorderen Fach, stecke sie in das rückw.rtige Fach, lese den Text der zweiten Tafel mit „Die Aufgabe lautet“ vor, nehme die Tafel, stecke sie in das rückwärtige Fach, lese den Text der dritten Tafel mit „Wir überlegten uns“ vor, nehme die Tafel aus dem vorderen Fach, stecke sie in das rückw.rtige Fach; Texttafel für Texttafel baut sich eine Spannung auf bis zum Höhepunkt, wo die Aufraggeber*in es nicht mehr erwarten kann und nur eins will: „Let’s see the ads“ und (Trommelwirbel) ich die erste der Bildtafeln zeige und dann Bild für Bild die Serie der Kampagne.

Vielleicht werden Sie jetzt fragen, wie ich es schaffe, tolle die Kampagnenideen zu finden, die ich dann überzeugend präsentieren kann. Dazu zurück zu Paul Gredinger: Als er auf die Serviette schrieb „Die besten Kampagnen“, fragte ich ihn, wie ich die hinkriegen könne und er sagte, durch die Technik des unkreativen Schreibens – also dem Gegenteil vom kreativen Schreiben, was er für altmodisch hielt – würde ich kreative Meisterschaft erlangen. Als ich zu GGK kam, riet er mir, möglichst viele der schwarzen Konzeptpräsentationsbüchlein aus dem Archiv der Agentur nicht nur durchzulesen, sondern abzutippen, Wort für Wort, Seite für Seite, und nach dem Abtippen den gesamten Text – wie bei einer Lesepräsentation – laut vorzulesen. Das tat ich. Nach einer Woche strenger Klausur hatte ich 25 Büchlein abgetippt und die Präsentationstexte einer unsichtbaren Auftraggeber*in laut vorgelesen. Das war mein Schlüsselerlebnis; nach der Klausur hatte ich den Schlüssel zur kreativen Meisterschaft. Diese Woche hatte mein Denken, Fühlen, Sehen, meine Arbeit und mein Leben verändert. Durch das Abtippen und Vorlesen wurde ich eins mit den Texten, wurde zum Autor, zum Schöpfer der Ideen der besten Kampagnen.

In den 10 Jahren als Kreativchef der GGK Düsseldorf dachte ich mir mit meinen Artdirektoren und Textern hunderte von Kampagnen aus, schrieb hunderte von schwarzen Konzeptbüchlein und hielt ebenso viele Lesepräsentationen. Für unsere Kampagnen bekamen wir mehr Auszeichnungen als alle anderen Agenturen. Nach 10 Jahren bei der GGK Düsseldorf gründete ich meine eigene Agentur. In Erinnerung an Gredingers GGK nannte ich sie KKG. Unsere Arbeitsweise hat sich nicht geändert: Einen Tag und die Nacht vor der Präsentation schreibe ich das Konzeptbüchlein mit der feinen Linie oben auf den Seiten. Nur eins hat sich geändert: Statt der schwarzen Büchlein machen wir in unserer Agentur Büchlein mit weißen Umschlägen. Unsere Särge sind so schwarz wie immer.

Mit der Zeit hatte sich unsere Methode des Schreibens von Konzeptbüchlein, die DIN A2-Text- und Bildtafeln, die nach Gerstners Design vom Buchbinder angefertigten Präsentationskisten, die zu Aufstellern aufgeklappt werden, bei Designbüros, Werbeagenturen und Unternehmen herumgesprochen und wurde mehr und mehr kopiert. Das ging soweit, dass Konkurrenten die GGK-Präsentationsbüchlein stahlen. Es gab in Düsseldorf sogar ein Büro, das unsere schwarzen Büchlein an andere Agenturen verkaufte. Heute ist aus unserer Form der Präsentation in der Branche ein gängiges Format geworden. Allerdings ein ziemlich degeneriertes. Denn unsere Sprache, unser Stil, unsere Konzepte und Kampagnenideen konnten nicht so leicht kopiert werden. Mit ihrer Verbreitung unserer Methode durch andere sind kreatives Niveau, Anspruch und Quali tät von Präsentationen und Kampagnen gesunken. Die letzte Stufe der Degeneration ist die PowerPoint-Präsentation.

Die schwarzen GGK-Kampagnenkonzeptbüchlein aus den Jahren von 1974 bis 1984 und die weißen aus mehr als 30 Jahren meiner eigenen Agenturen gibt es noch. Sie stehen, in Schuber gepackt, in den Regalen unseres Archivs. In den über an die tausend Bänden stecken die Ideen der besten Kreativen für die mutigsten Unternehmen und Institutionen von Jahrzehnten. Etliche Kampagnenideen waren so mutig, dass sie das Licht der Medienwelt nie erblickt haben. Das heißt, neben Präsentationsbüchlein für ausgezeichnete Anzeigen-, Plakat-, TV- und Radiokampagnen, die Werbegeschichte geschrieben haben, schlummern in unseren Regalen radikale Ideen von unveröffentlichten Arbeiten, die aufregend sind.

Die schwarzen GGK-Kampagnenkonzeptbüchlein aus den Jahren von 1974 bis 1984 und die weißen aus mehr als 30 Jahren meiner eigenen Agenturen gibt es noch. Sie stehen, in Schuber gepackt, in den Regalen unseres Archivs. In den über tausend Bänden stecken die Ideen der besten Kreativen für die mutigsten Unternehmen und Institutionen von Jahrzehnten. Etliche Kampagnenideen waren so mutig, dass sie das Licht der Medienwelt nie erblickt haben. Das heißt, neben Präsentationsbüchlein für ausgezeichnete Anzeigen-, Plakat-, TV- und Radiokampagnen, die Werbegeschichte geschrieben haben, schlummern in unseren Regalen radikale Ideen von unveröffentlichten Arbeiten, die oft aufregender sind als die Büchlein zu bekannten Kampagnen.

Als ich im Juli 2018 mit Prof. Barbara Kotte, Prodekanin der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim, im Archiv der Schirner Zang Foundation war, hatten wir die Idee, den Schatz der über tausend Präsentationsbüchlein, die ich seit 1974 für die legendäre Agentur GGK Düsseldorf und danach für meine eigenen Agenturen verfasst hatte, zum Gegenstand eines Editorial-Design-Projekts für Master-Studierende an der HAWK zu machen. Barbara Kotte fragte die Studierenden des Fachbereichs Gestaltung, wer Lust hätte, an dem Buchprojekt mitzuarbeiten. Die Master of Arts Manuela Bust, Leonie Egge, Farina Lichtenstein und Michael Breuninger wollten. Ich stellte ihre Aufgabe, sei zum einen Lesepräsentationsbüchlein zum Gegenstand einer Einübung ins unkreative Schreiben zu machen, um kreative Meisterschaft zu erreichen, zum anderen Redaktion und Artdirection eines Übungsbuchs zur Entwicklung von Konzeptionen, Kampagnenideen, ihre kreative Umsetzung in Werbemittel und ihre Präsentation am Beispiel von ausgewählten Lesepräsentationsbüchlein und einen Sammelband mit den Faksimiles von 236 Büchlein zu machen. Beide Bände sollten nicht nur für ein Fachpublikum bestimmt sein, sondern für Leser, die an Design, Medien, Kommunikation, Kunst, Kultur und Wirtschaft interessiert sind. Im Wintersemester 2018/19 fuhr ich regelmäßig nach Hildesheim und freute mich jedes Mal mehr über die Fortschritte der kreativen Arbeit Studierenden, die mit ihrer Marathon-Publikation BLACK WHITE BOOKS eindrucksvoll und exemplarisch demonstrieren, wie man kreative Meisterschaft erlangt.

Der Beitrag über Konzeptpräsentationsbücher wurde aus Black White Books von Michael Schirner und Studierenden der HAWK Hildesheim übernommen.

 

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