EINE GESCHICHTE DER ENTFERNUNG
Zu Michael Schirners Fotografien im heutigen Feuilleton
„Die Methodik, durch Weglassungen die Wirkmacht von ikonischen Bildern zu erproben, hat sich der vor allem als Werber bekannt gewordene Michael Schirner für sein BYE BYE genanntes Projekt auf direktmöglichem Wege zu eigen gemacht. Er entfernt die wesentlichen Figuren aus ikonischen Pressebildern: den fallenden Kämpfer aus Robert Capas berühmten Bild des Spanischen Bürgerkriegs, James Dean aus der Szene am verregneten Times Square, einen Toten in Ohio aus dem Bild von 1970. Übrig bleibt auch hier ein ‚punktum‘: Wer ist die Frau, die da im Sommer 1970, den Pullover um die Hüfte geknotet, an der Kent State University über den Campus läuft; wo kam sie her, was geschah mit ihr, wo lebt sie heute – und warum wurde dieses Bild gemacht? … Ein fast unvermeidlicher Gag ist es, dass Schirner aus dem Bild, aus dem Stalin Trotzki entfernen ließ, Lenin entfernt – was auf eine mögliche Botschaft dieser Bildmanipulationen hinführt: Die Geschichte wäre anders verlaufen, wenn hier andere Menschen das Wort und die Macht ergriffen hätten, Geschichte ist kein Naturereignis, sondern das Produkt menschlicher Auftritte und Idealbilder. So könnte man Schirners Entfernungen vielleicht als Werbung und Ermunterung lesen, auch politisch mehr Druck zu machen.“ Niklas Maak
Die BYE BYE FAZ
FAZ-Ausgabe vom 15. April 2010
2009 wurden Michael Schirners Arbeiten der Serie BYE BYE von der Jury der Lead Awards ausgezeichnet und mit Gewinnerarbeiten in den Hamburger Deichtorhallen ausgestellt. Markus Peichl, Organisator der Lead Awards und Partner von Andreas Osarek, dem Leiter der Berliner Crone Galerie, schlug vor, die ausgezeichneten Arbeiten in der Galerie auszustellen. Schirner wollte mehr: eine Einzelausstellung in den Deichtorhallen, eine mehrseitige BYE BYE-Bildstrecke in der Frankfurter Allgemeine Zeitung, BYE BYE-Großflächenplakate und -Citylight-Poster in Hamburg, Berlin, Düsseldorf Frankfurt und ein BYE BYE-Katalogbuch, das die Medienkunstaktion dokumentiert.
Frank Schirrmacher, Chefredakteur und Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der radikale Ideen liebte, wollte alle Pressefotos einer aktuellen Ausgabe der FAZ durch Arbeiten der Serie BYE BYE ersetzen lassen. Am 15. April 2010, dem Eröffnungstag der Ausstellung Michael Schirner I BYE BYE in den Hamburger Deichtorhallen erschien die FAZ und 17 redaktionellen Beiträgen waren mit 17 Fotos der Serie BYE BYE bebildert. Das Titelbild auf Seite 1 zeigt die Arbeit BYE BYE, CER36, Fine Art Print, 2002 – 2009, based on a photograph by Robert Capa,Überschrift: „Kriegsbild?“, darunter „Bilderrätsel – Hier fehlt etwas – aber was? Die Auflösung finden Sie auf Seite 4. Es geht dabei um Leben und Tod, so wie auch in Afghanistan auf Seite 3, wo Soldaten in einem Konflikt im Einsatz sind, mit dessen Benennung sich die deutsche Politik so schwertut, dass der Außenminister und die Opposition lange Umschreibungen dafür benötigen. Was es mit dieser begrifflichen Verwirrung auf sich hat und weshalb manche ein kurzes Wort mit fünf Buchstaben nicht verwenden wollen, steht auf Seite 31. Noch mehr Rätsel finden sich im ganzen Feuilleton.“
Auf den folgenden Seiten der FAZ machte die Redaktion ein Experiment: Mit den Bildunterschriften der BYE BYE-Abbildungen stellte die Redaktion eine inhaltliche Verbindung zwischen dem redaktionellen Artikel und Michael Schirners Arbeit her.
Geschichtsbücher werden immer wieder umgeschrieben. Ein wenig wohler ist einem aber doch, wenn sie noch gedruckt vorliegen.
Wenn man Windstärke, Temperatur und Niederschlagsmenge vorausberechnen kann, ist dann auch der Ausgang der Geschichte bereits determiniert?
Helden gehen gern zu Fuß, auch wenn sie hoch hinaus wollen.
Die Polen greifen in höchste Register öffentlichen Gedenkens und erweisen damit ihrem verunglückten Präsidenten eine heikle letzte Ehre.
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr: Auf dem Land herrscht jedenfalls ein anderes Verhältnis zur Transgression als in großen Städten.
Krieg, das heißt Gräuel. Man entkommt ihnen nicht, wenn man nicht von ihm spricht.
Manchmal wäre es besser, nicht durch Drehtüren zu eilen.
Der Traum aller Gäste des Pictoplasma-Festivals ist es, die Welt des Trickfilms um eine Figur zu bereichern, die später jeder kennt.
Hoch hinaus, denn Baukunst heißt heute überwiegend Montage.
Die ewige Frage: Was würdest du wählen, wenn du entscheiden könntest zwischen dem Leiden und dem Nichts.
Damit akademische Karrieren in Fahrt kommen, werden Anführungsstriche schon einmal auch weggelassen.
Ein Mann, der sein Rollenbild für die Wirklichkeit nahm.
Die ARD blickt auf ihre Geschichte zurück. Vier Nächte lang geht es um Wegmarken des politisch, informierenden wie des unterhaltenden Fernsehens. Einen neuen Slogan gönnen sich die Sender demnächst auch: „Wir sind eins. ARD.“
Vox, 20.15 Uhr, der Flug des Phoenix: Ein Flugzeug stürzt über der Wüste Gobi ab. Die Passagiere müssen um ihr Überleben kämpfen.
Wenn die Natur außer Kontrolle gerät, versagen die Bilder.
bye bye STREET ART
BYE BYE Großflächenplakate und -City Light Poster
Als Teil der Medien-Kunst-Aktion erschienen Bilder der Serie BYE BYE als Street Art auf mehr als tausend Großflächenplakatstellen, Plakatsäulen und City Light Poster in Hamburg, Berlin, Düsseldorf und Frankfurt.
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