
Michael Schirner, BYE BYE, Einzelausstellung im Haus der Photographie der Deichtorhallen Hamburg, 2010
MICH GIBT ES GAR NICHT
Das Haus der Photographie der Deichtorhallen Hamburg zeigte vom 15.04. bis 25.04.2010 die Einzelausstellung MICHAEL SCHIRNER, BYE BYE. Ausgestellt wurden großformatige Fine Art Prints der Serie BYE BYE: TRA72, NEW55, PAR 60, WAR70, MUN72, BAR68, MOS70, MEM68, OHI70, NOR44, ABU03, TAM04, CLE08, JEN06, BHO84, SAN73, IWO45, MOS 20, CER36, VER84, BAG08, YAN66, JER61, PAR97, HAM08, BER45, LAK37, GEN87, KITO03, NEW32, TOR98. Am 16.04. zeigte die Galerie Crone Berlin in einer Einzelausstellung Fine Art Prints der Serie MICHAEL SCHIRNER, BYE BYE. Christoph Gabriel gestaltete das Katalogbuch, herausgegeben von Markus Peichl, erschienen im DISTANZ Verlag Berlin. Website www.michael-schirner-bye-bye.de. Bildmotive der Serie wurden auf Großflächenplakaten und City Light Poster in Hamburg, Berlin, Düsseldorf und Frankfurt gezeigt. Die Ausgabe der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom Eröffnungstag der Ausstellung war mit 17 Arbeiten der Serie BYE BYE bebildert.
Wie es Schirner schafft, dass wir das, was wir auf dem Bild an der Wand nicht sehen, überdeutlich als Bild in unserem Kopf wahrnehmen, verrät er uns: „Meine Kunst ist nicht mein Werk, sondern ganz allein Ihrs. Sie sind der Schöpfer Ihrer Bilder in Ihrem Kopf. Mich gibt es gar nicht.“ Das heißt, so wie das Abgebildete in der Imagination des Betrachters verschwindet, ergeht es dem Autor. Das meint Schirner mit der Selbstabschaffung des Künstlers als Autor und Experte seiner Kunst: Er tritt ganz hinter seinem Werk zurück. Die Arbeit, die Kunst macht, müssen wir, die Betrachter des Werkes, tun.
Zur Pressekonferenz der Preview spracht Markus Peichl über Michael Schirner und seine Arbeiten: „Die Bilder, die Sie hier sehen, sind nicht von Michael Schirner geschaffen, sondern sie entstehen in den Köpfen der Betrachter. Die Betrachter sind Schöpfer der Bilder. Er, Schirner, existiert nicht. Michael Schirner hat nicht in Hamburg Kunst studiert, er hat nicht bei Max Bill und bei Bazon Brock gelernt. Er hat nicht das Künstlerfest LiLaLe als seine Abschlussarbeit organisiert. Die Besucher und Studierenden haben sich dort nicht nackt ausgezogen. Er wurde darauf nicht von der Hochschule geschmissen. Michael Schirner ist darauf nicht in die Werbung gegangen. Er hat nicht in großen Agenturen wie Young & Rubicam und GGK gearbeitet. Auch nicht in eigenen Agenturen. Er hat auch nicht bahnbrechende Werbearbeiten hinterlassen. Nicht die Jägermeister-Kampagne, die den Älteren von Ihnen noch in Erinnerung ist. Nicht die Volkswagen-Kampagne. Auch nicht die Kampagne für IBM mit dem Wort ’schreibmaschinen‘, wo die Buchstaben i b m in dem Wort versal hervorgehoben wurden und der Rest gemischt geschrieben war. Michael Schirner ist nach seiner Werbearbeit nicht in die Kunst zurückgekehrt und hat nicht Professuren in Peking, nicht an der HfG und am ZKM in Karlsruhe und auch nicht in Bremen innegehabt. Er hat auch nicht für Gruner + Jahr die Serie Pictures in our Minds entwickelt, in der er mit Worten bekannte Bilder beschreibt, die darauf im Kopf des Betrachters entstehen; andere Arbeiten wie die Bilder der Serie BYE BYE, Theateraufführungen im Schauspielhaus in Düsseldorf, Auftritte der Gruppe Pope – all das hat er, weil er ja nicht existiert, nicht gemacht. Ausstellungen und Bücher zeugen von seinen Phantomwesen. Was man von Michael Schirner sagen muss, ist, dass er wahrscheinlich der Einzige ist, der das Postulat, das irgendwann in den 80ern erhoben wurde, dass Werbung Kunst ist und Kunst Werbung, wirklich gelebt und ausgefüllt hat. Ich glaube, dass die Kuratoren der Deichtorhallen das mit der heutigen BYE BYE-Ausstellung wunderbar auf den Punkt gebracht haben.“
DER TOD DES ANDEREN
DAS VERSCHWINDEN VON AUTOR UND ORIGINAL
Oliver Koerner von Gustorf
Das ästhetische und theoretische Terrain, das Michael Schirner mit BYE BYE betritt, ist ebenso weit wie die entleerten Szenarien seiner Digigraphien. Bereinigt von Menschen erscheint die Landung der Alliierten 1944 in der Normandie nur noch als ein wolkiges, entmaterialisiertes Seestück.
Robert Capas ikonische, 1936 entstandene Kriegsfotografie Loyalistischer Soldat im Moment des Todes reduziert sich auf eine verwackelte Landschaft mit flüchtigem Horizont.
Es sei das Ziel seiner jüngsten Arbeiten, betont Schirner, das „Unsichtbare im Sichtbaren“ zu zeigen – die vielen unscheinbaren und unbemerkten Details jener massenmedialen Bilder, die in unserem Bewusstsein wie ein fotografisches Archiv der Welt abgespeichert sind.

Michael Schirner, BYE BYE, MUN72, Fine Art Print, 2002 – 2009, based on a photograph by Raymond Depardon/Magnum Photos
Nicht nur der vermummte palästinensische Terrorist, der während der Olympischen Sommerspiele in München 1972 bei der Geiselnahme der israelischen Mannschaft fotografiert wird, hat sich in unserer Imagination verankert, sondern auch der Beton-Balkon, auf dem er steht.
Von Willy Brandts Kniefall 1970 in Warschau bleiben fragmentarische Eindrücke im Gedächtnis hängen: regennasser Stein, die Steigung der Stufen, das Weiß der Blumen im Gedenkkranz.
Schirners Bilder wirken trotz ihrer Reduktion so unheimlich bekannt, weil wir sie reflexartig nach den Vorlagen in unseren Köpfen ergänzen, ihre Leerstellen ausfüllen. Wir sind also Mitautoren.
Sein konzeptioneller Ansatz, die zentralen Personen oder Gegenstände und die wesentlichen Bildelemente von ikonischen Fotografien auf ein Minimum zu reduzieren, erzeugt einen Déjà-vu-Effekt, der jedes seiner Szenarien zugleich zum Tatort werden lässt – weil man intuitiv fühlt, dass etwas fehlt oder anonymisiert wurde.
Das Gefühl, dass sich etwas Gewaltsames zugetragen hat, kommt nicht von ungefähr. Denn tatsächlich ist der Tod auf sämtlichen dieser geisterhaften und häufig banal anmutenden Bilder präsent …
… sei es, weil es sich bei den Vorlagen um Aufnahmen handelt, die unmittelbar mit Katastrophen, historischer und politischer Gewalt in Zusammenhang stehen oder weil das Verschwinden von Menschen aus einem Foto der symbolischen Auslöschung der jeweiligen Person gleichkommt.
Wenn vom Tod des Autors gesprochen wird und wir, wie Schirner es postuliert, die Autoren seiner Bilder sind, dann lässt er uns diesen Tod in unserer Imagination als den eigenen erleben.
Anders als bei den Bildmanipulationen der Stalinisten und Modemagazine geht es hierbei nicht um gezielte politische oder ästhetische Korrekturen oder die Zementierung bestimmter Bedeutungen, sondern um eine völlig lakonische ästhetische und inhaltliche Entleerung.
Indem Schirner die Indizien stattgefundener Gewalt, die Täter, die Opfer, die Akteure auslöscht, fordert er uns auf, ihre Stelle einzunehmen. Schirner eliminiert die Gewalt nicht aus der Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, er bittet den Tod nur, für einen Augenblick zur Seite zu treten, damit unsere Imagination mehr Platz hat.
So können wir uns vorstellen, wie tief wohl der Fall der Bauarbeiter war, die gerade noch ihr Butterbrot auf einem Stahlträger über den Straßenschluchten von New York gegessen haben, der jetzt leer in den Himmel ragt.
Wir können wie Eichmann in einem Glaskasten in dem Jerusalemer Gericht sitzen und des Völkermordes angeklagt werden.
Wir können mit der Hindenburg explodieren.
Mit dem Eintritt ins Bild eröffnen sich also unweigerlich medientheoretische Diskurse, Fragen danach, was eine Fotografie ihrem Wesen nach überhaupt ist. In diesem Sinne vermittelt BYE BYE so etwas wie eine Nahtoderfahrung.

Michael Schirner, BYE BYE NEW55, Fine Art Print, 2002 – 2009, based on a photograph by Dennis Stock/Magnum Photos
Man sieht sich in der Gestalt von anderen quasi selbst beim Verschwinden zu – in Gedächtnisbildern, die uns in ihrer Anonymität und Leere das Drama unserer eigenen Sterblichkeit vor Augen führen. (Katalogtext)
http://www.michael-schirner-bye-bye.de
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