MICHAEL SCHIRNER, PLAKAT UND PRAXIS

Meterverlag, 1986

Michael Schirner, Plakat und Praxis, Text auf dem Rücktitel: Werner Büttner

Michael Schirner, Plakat und Praxis, Text auf dem Rücktitel: Werner Büttner, 1986

MEIN ARSCH GEHÖRT IHNEN

„Als Werner Büttner und Albert Oehlen vor zwei Jahren einen Verlag gründeten, bedurften sie exakt vier Dinge. Erstens eines Porträts des Illustrators Adolf Oehlen, dem Vater von Albert Oehlen, zweitens eines Brettes und drittens zweier Hämmer. Mit diesen Utensilien entwarfen sie das Programm des Verlages. Das Vaterporträt kündete dabei von der optischen Aufmachung künftiger Publikationen. Alle Bücher sollten ausschließlich mit Cartoons des Künstlervaters illustriert werden. Die drei übrigen Dinge gaben dem Verlag Rahmen und Namen. Aus Brett und Werkzeug montierten die Künstler ein Bücherbord, das die Hämmer als seitliche Buchstützen abschlössen. Dabei wurden sie derart installiert, dass sich zwischen ihren Schlagflächen ein Raum von exakt einem Meter Länge erstreckte. So gesellte sich zum Bildprogramm ein Produktionssoll. Es galt exakt so viele Bücher zu publizieren, dass sie genau den einen Meter des erstellten Bücherbordes ausfüllen. Folglich stand auch der Verlagsname fest: Meterverlag. Weitere Konditionen gab es für den jungen Verlag nicht.

Sechs Bücher zeugen bislang vom Bemühen der Verleger eine Bandbreite zu erstellen, die nicht nur den erforderlichen Meter füllt, sondern auch dem künstlerischen Äußerungsbedürfnis von Albert Oehlen und Werner Büttner seinen Raum gibt. Von beiden erschien das Buch Angst vor nice und von Werner Büttner der Gedichtband In Praise Of Tools And Women, des Weiteren, Mayo Thompson The Red Crayola, Gorky & Co., 33 Songs, Diedrich Diederichsen Elektra, Schriften zur Kunst, Sven Ake Johansson Gedichte und Gesänge, Michael Schirner Plakat und Praxis.“ Kunstforum Band 91, Realkunst

1986 bat Albert Oehlen Michael Schirner um Texte für ein Buch seines Meterverlags. Michael gab Albert zwei Texte: Das Plakat, eine Abhandlung über Gestaltung von Großflächenplakaten außerdem eine Sammlung von Briefen, die Gäste des S&M-Studios „Moderne Creation Düsseldorf“ an ihre Domina Gabi geschrieben hatten.

Titel: Michael Schirner Plakat und Praxis mit Illustration von Adolf Oehlen

Rücktiteltext von Albert Büttner:

„Traurig zu sagen, die mörderischen, kriegerischen Wahnsinnigen des Systems mit ihrem organisierten Massenmord. Krieg und Werbung – sie sind die schlimmste Scheiße von allem! Auf ihre Art sind sie schlimmer als Scheiße und Pisse und Verschmutzung! Sie sind mehr wie tödliches Gift. Sie sind wie verseuchtes, tödliches Typhuswasser, das Menschen tötet! Weißt Du, vor welcher Seuche sich die Welt heute am meisten fürchtet, und sie geraten darüber in Panik, und nötigen Dich, dagegen geimpft zu werden? Es ist die gefürchtete Werbung! Werbung ist giftiger, ansteckender Abfall, der Dich innerhalb einiger Stunden töten kann! Werbung ist die Kunst, die Menschen zu lieben/töten, ohne sie mit den Händen zu massieren, in sich einzuführen oder zu lutschen. Sie kann durch Fliegen, Fisch, Nahrung, Handcreme oder fast alles übertragen werden. Und ohne die Gnade des METERVERLAGES und sein wunderbares Heilen braucht sie nur ein paar Stunden, um auszubrechen, und Du bist hinüber!“

Seite 7, linke Spalte:

  1. Das Plakat in Beziehung zu sich.
  2. Dieser Beitrag hat zwei große Teile. Im zweiten Teil untersuche ich die Beziehung des Plakats zu den übrigen Medien der Kampagne, in der es erscheint. Im zweiten Teil beschäftige ich mich also nicht nur mit Plakaten, sondern auch mit Anzeigen und Filmen. Im ersten Teil untersuche ich die Beziehung des Plakats zu den übrigen Plakaten der Kampagne, von der es ein Teil ist. Es gibt drei arten von Beziehungen oder Relationen von Plakaten zu seinen Nachbarn: die Relation der Ähnlichkeit, der Unähnlichkeit und der Gleichheit. Sind die Pkakate einer Kampagne ähnlich oder unähnlich, sprechen wir von serien ähnlicher oder von Serien unähnlicher Plakate. Sind die Plakate einer Kampagne gleich, sprechen wir von Nicht-Serien oder Einzelplakaten.

1.1. Die Nichtserie oder das Einzelplakat

Seite 7, rechte Spalte

Auf den folgenden Seiten habe ich Ihnen für Ihnen für jede der 6 Pausen und der 6 Strafen aufgeschrieben, woran Sie mich dabei erinnern sollten. Es sind die Beschreibungen von Gelegenheiten, bei denen ich meinen Sadismus ausgelebt und erst dann im Nachhinein bedauert habe. Mit Ausnahme der letzten aktuellen Sache mit Ricarda sind diese Vorkommnisse nicht der entscheidende Grund für meinen Besuch bei Ihnen – der liegt in meinen auch masochistischen Phantasievorstellungen und in der Angst, bei immer stärker werdenden sadistischen Neigungen einmal etwas zu machen, was für mich unangenehme Konsequenzen hat. Wenn ich mich aber deswegen schon prügeln lassen muss, ist es

Seite 95

… Ich glaube, es ist wieder einmal an der Zeit, dass ich von Ihnen den Arsch versohlt bekomme. Ich möchte total von Ihnen erniedrigt werden. Einige Ohrfeigen würden mir ganz gut tun. Ihr Spezialgebiet sollte mein Hintern sein, den Sie kneifen und zwicken sollen. Falls Ihnen die Hände wehtun, vom Hintern hauen, nehmen Sie doch die Füße als Ersatz. Da mich nackte Füße immer schon interessiert haben, sollen diese mich ausgiebig in den Arsch treten, wofür ich Sie dann zum Dank lecke. Ich glaube, Sie werden meinen Hintern ordentlich einheizen, und mich als Spielobjekt betrachten, das nicht mehr sitzen kann.

MEIN ARSCH GEHÖRT IHNEN.

IHRE FÜßE GEHÖREN MIR GAR NICHT!

Beim Steirischen Herbst 87 in Graz traten Oliver Hirschbiegel und Michael Schirner gemeinsam in einer Performance auf. Sie standen rechts und links eines Rednerpultes, Hirschbiegel im schwarzen Outfit eines Ostjuden mit Kippa, Schirner in der Uniform eines Lufthansa Piloten. Beide lasen simultan aus Plakat und Praxis, Hirschbiegel las die linke Spalte der Seiten, Schirner die rechte.

Michael Schirner, Plakat und Praxis, Seite 6/7

Michael Schirner, Plakat und Praxis, Seite 6/7, 1986

Michael Schirner, Plakat und Praxis, Seite 94/95

Michael Schirner, Plakat und Praxis, Seite 94/95, 1986


COPYRIGHT

 

1986 Michael Schirner – Meterverlag

Illustrationen von Adolf Oehlen

Herausgegeben im Meterverlag

2000 Hamburg 20

Fettstraße 7a

 

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