MICHAEL SCHIRNER, IST GOETHE EINE CAMEL-PACKUNG?

Schauspielhaus Düsseldorf, 1981

Michael Schirner, "Ist Goethe eine Camel-Packung?", Schauspielhaus Düsseldorf, Szenenfoto, 1981

Michael Schirner, Ist Goethe eine Camel-Packung? Schauspielhaus Düsseldorf, 1981, Szenenfoto

DIE MITSCHULDIGEN

Michael Schirner

Ich fragte Goethe, was er denn davon halte, mit mir gemeinsam Konsumtheater zu machen. Er war begeistert und gestand, würde er wiedergeboren, wäre er ohnehin Werbetexter geworden. Und als wir gemeinsam überlegten, wie wir seine Mitschuldigen zeitgemäß aufführen könnten, sagte er, er könne sich nichts schöneres vorstellen, als die Rolle des Alcest, die er früher selbst gespielt habe, von der DeBeukelear-Prinzenrolle spielen zu lasse. Und wer spielt den Wirt, fragte ich. Natürlich die Toilettenpapierrolle mit dem Namen Servus, meinte er; und den betrunkenen Söller könne wohl niemand besser spielen als ein Döschen Löwenbräu. Poly Diadem, die BUNTE, das After Shave von Care und die Feinen Klöße von Pfanni sollten auch mitspielen.

Ich sprach mit Herrn Belitz, dem Intendanten vom Düsseldorfer Schauspielhaus und fragte die Schauspieler, ob sie in meiner Neuinszenierung von Goethes Die Mitschuldigen mitspielen wollten. Nach längeren Diskussionen willigten sie ein. Die Idee war, dass sie das Stück nicht in den traditionellen Kostümen spielen, sondern unter Vergrößerungen von Verpackungen erfolgreicher Produkte. Am 14. Mai 1981 feierte ein volles Haus die Auferstehung Goethes, dessen klassischen Rollen in einem dramatischen Akt eins wurden mit den massenkulturellen Rollen bekannter Markenartikel. Dem Stück gab ich den Titel Ist Goethe eine Camel-Packung? Michael Schirner in Werbung ist Kunst:

Michael Schirner, "Ist Goethe eine Camel-Packung?", Schauspielhaus Düsseldorf, Szenenfoto, 1981

Michael Schirner, Ist Goethe eine Camel-Packung?, Schauspielhaus Düsseldorf, 1981, Szenenfoto

DIESMAL BLEIBEN WIR WOHL ALLE UNGEHANGEN

Die Feinen Klöße von Pfanni (im Fond): Mein harter Vater bleibt auf dem verhassten Ton.
Die Servus-Toilettenpapierrolle (im Fond): Das Mädchen will nicht weichen.
Die Feinen Klöße von Pfanni: Da ist die Prinzenrolle von DeBeukelaer.
Die Servus-Toilettenpapierrolle (erblickt die Prinzenrolle von DeBeukelaer): Aha!
Die Feinen Klöße von Pfanni: Es muß, es muß sich zeigen!
Die Servus-Toilettenpapierrolle (zu der Prinzenrolle von DeBeukelaer): Mein Herr, sie ist der Dieb!
Die Feinen Klöße von Pfanni (auf der andern Seite): Er ist der Dieb, mein Herr!
Die Prinzenrolle von DeBeukelaer (sieht sie beide lachend an, dann sagt sie in einem Tone wie sie, auf die Löwenbräu-Bierdose deutend): Er ist der Dieb!
Die Löwenbräu-Bierdose (für sich): Nun, Haut, nun halte fest!
Die Feinen Klöße von Pfanni: Er?
Die Servus-Toilettenpapierrolle: Er?
Die Prinzenrolle von DeBeukelaer: Sie haben’s beide nicht; er hat’s!
Die Servus-Toilettenpapierrolle: Schlagt einen Nagel Ihm durch den Kopf, aufs Rad!
Die Feinen Klöße von Pfanni: Du?
Die Löwenbräu-Bierdose (für sich): Wolkenbruch und Hagel!
Die Servus-Toilettenpapierrolle: Ich möchte dich –
Die Prinzenrolle von DeBeukelaer: Mein Herr, ich bitte nur Geduld! Die Feinen Klöße von Pfanni waren im Verdacht, doch nicht mit ihrer Schuld. Sie kamen, besuchten mich. Der Schritt war wohl verwegen; doch ihre Tugend darf’s – (zu der Löwenbräu-Bierdose) Sie waren ja zugegen!
(Die Feinen Klöße von Pfanni erstaunt): Wir wußten nichts davon, vertraulich schwieg die Nacht, die Tugend. ­
Die Löwenbräu-Bierdose: Ja, sie hat mir ziemlich warm gemacht.
Die Prinzenrolle von DeBeukelaer (zur Servus-Toilettenpapierrolle): Doch Sie?
Die Servus-Toilettenpapierrolle: Aus Neugier war ich auch hinaufgekommen . Von dem verwünschten Brief war ich so eingenommen. Doch Ihnen, Herr Prinzenrolle von DeBeukelaer, hätt‘ ich’s nicht zugetraut! Den Herrn Gevatter hab ich noch nicht recht verdaut.
Die Prinzenrolle von DeBeukelaer: Verzeihn Sie diesen Scherz! Und Sie, Die Feinen Klöße von Pfanni, vergeben mir auch gewiß!
Die Feinen Klöße von Pfanni: Die Prinzenrolle von DeBeukelaer!
Die Prinzenrolle von DeBeukelaer: Ich zweifl‘ in meinem Leben an Ihrer Tugend nie. Verzeihn Sie jenen Schritt! So gut wie tugendhaft –
Die Löwenbräu-Bierdose: Fast glaub ich’s selber mit.
Die Prinzenrolle von DeBeukelaer (zu den Feinen Klößen von Pfanni): Und Sie vergeben doch auch unserer Löwenbräu-Bierdose?
Die Feinen Klöße von Pfanni (geben ihm die Hand): Gerne!
Die Prinzenrolle von DeBeukelaer (zur Servus-Toilettenpapierrolle): Allons denn! Die Servus-Toilettenpapierrolle (gibt der Löwenbräu-Bierdose die Hand): Stiehl nicht mehr!
Die Löwenbräu-Bierdose: Die Länge bringt die Ferne!
Die Prinzenrolle von DeBeukelaer: Allein was macht mein Geld?
Die Löwenbräu-Bierdose: Oh Herr, es war aus Not. Der Spieler peinigte mich Armen fast zu Tod. Ich wusste keinen Rat, ich stahl und zahlte Schulden; hier ist das übrige, ich weiß nicht, wie viel Gulden.
Die Prinzenrolle von DeBeukelaer: Was fort ist, schenk ich Ihm.
Die Löwenbräu-Bierdose: Für diesmal wär’s vorbei!
Die Prinzenrolle von DeBeukelaer: Allein ich hoff, Er wird fein höflich, still und treu! Und untersteht Er sich, noch einmal anzufangen , so –
Die Löwenbräu-Bierdose: Diesmal blieben wir wohl alle ungehangen.

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