HEUT‘ DIE KUH

Wochenzeitung DIE ZEIT, 1972

Anzeige für die Wochenzeitung DIE ZEIT, 1972

GKO&S, DIE ZEIT, 1972, Tageszeitungsanzeige

MORGEN DU

Bei der Entwicklung der Leserwerbung für DIE ZEIT arbeiteten Michael Schirner und Ben Oyne eng zusammen mit der Werbeleiterin Hilde von Lang und deren Lebensgefährten, ZEIT-Verleger Gerd Bucerius. Schirner und Oyne besuchten die wöchentlichen Redaktionskonferenzen mit Marion Gräfin Dönhoff, Theo Sommer, Hellmuth Karasek, Haug von Kuehnheim u.a. Sie verfolgten die Diskussion um Themen kommender Ausgaben und empfahlen Anzeigenmotive mit Schlüsselszenen zu Umweltthemen. Zum Thema Luftverschmutzung inszenierte Ben Oyne ein Foto mit Bauer und seiner Frau auf der Weide neben einer Kuh, die an den Folgen der Abgase einer nahen Bleihütte krepiert war. Michael Schirner reimte : „Heut‘ die Kuh, morgen Du“. Ein Motiv zeigt Kinder, die mit Gewehren die Hinrichtung eines Jungen spielen. Headline: „Übung macht den Meister“; der laufenden Text geht der Frage nach, ob die Darstellung von Gewalt in den Medien gewalttätig mache. In weiteren Motiven wurden die Themen Ausländerhass und Verkehrstote thematisiert. Für die Anzeige mit der Headline „Tante Emma ist tot“ ließ Ben Oyne im Studio den Verkaufsraum eines Tante-Emma-Ladens aufbauen und eine spindeldürre 89-Jährige mit Strick an der Decke des Ladens aufhängen. Die Anzeige über das Sterben der Tante-Emma-Läden war das letzte Anzeigenmotiv der ZEIT-Kampagne und der Agentur, die ihre Pforten schloss.

Die Geschichte dieser Anzeige beschrieb der Verleger der ZEIT Gerd Bucerius im Lauftext der Anzeige: „Diese Anzeige sollte ursprünglich nicht nur die letzte Anzeige der Kampagne für DIE ZEIT sein; sie war zufällig auch die letzte Anzeige unserer Werbeagentur GKO&S – als kleine Agentur dem Konkurrenzdruckdruck der großen Agenturen nicht gewachsen und so gezwungen, die Pforten zu schließen – machte eben dieses Problem zum Inhalt ihrer und unserer letzten Anzeige. Die Konzentration in der Wirtschaft wurde an einem Beispiel aus dem Lebensmittel-Einzelhandel, dem Selbstmord der Inhaberin eines Tante-Emma-Ladens, erschreckend deutlich gemacht. Frau von Lang, die Werbeleiterin, der Chefredakteur Theo Sommer und ich, wollten es wagen, diese recht ungewöhnliche Anzeige zu schalten. Fast alle Redakteure, sagte mir Haug von Kuenheim, der Chef vom Dienst, seien gegen die Veröffentlichung der Anzeige. Einige meinten, dass man mit einer toten Frau schlecht für DIE ZEIT werben könne, einige fürchteten, dass der schlichte Leser das alles missverstehen könne, andere fänden die Anzeige schlicht „degoutant“. So wurde die Anzeige nicht im SPIEGEL geschaltet. Ich erzähle Ihnen das, um Ihnen zu zeigen, dass die Redaktion bei der ZEIT so großgeschrieben wird, dass sie sogar die Werbung für DIE ZEIT verhindern kann. Und das ist eigentlich keine schlechte Werbung für DIE ZEIT.“ Das Motiv mit dem Foto vom Selbstmord der Ladeninhaberin und dem Text von Gerd Bucerius wurde als Eigenanzeige von ZEIT und GKO&S in der Branchenpresse veröffentlicht.

Hintergrund: Die Werbung der Agentur für 8 x 4 war so erfolgreich, dass Beiersdorf die 8 x 4-Produkte auch in anderen Ländern einführen wollte und für die Werbung in 100 Ländern eine internationale Agenturgruppe suchte. Die Agentur verlor ihren größten Etat und entschied sich für deren Auflösung. Ben Oyne zog nach Paris und wurde Fotograf. Peter Geilenberg wurde Kreativdirektor der Agentur TBWA. Joachim Kellner wurde Produktgruppenleiter in der Kosmetik von Henkel in Düsseldorf. Michael Schirner wurde Kreativchef und alleiniger Geschäftsführer der GGK Düsseldorf Werbeagentur.

Anzeige für die Wochenzeitung DIE ZEIT, 1972

GKO&S, DIE ZEIT, 1972, Tageszeitungsanzeige

Anzeige für die Wochenzeitung DIE ZEIT, 1972

GKO&S, DIE ZEIT, 1972, Tageszeitungsanzeige

Anzeige für die Wochenzeitung DIE ZEIT, 1972

GKO&S, DIE ZEIT, 1972, Anzeige in der Fachpresse

ÜBER WERBUNG UND JOURNALISMUS

Cordt Schnibben

Einem Werber verdanken wir eine der wenigen Enthüllungsgeschichten über die deutsche Werbung; sie ist so schön, wie sie nur ein Werber schreiben kann; kein Journalist hätte sie erfahren. Die Geschichte geht so:

„Die Kampagne war eine für eine deutsche Wochenzeitung. Die Anzeige, die wir uns ausdachten, sollte eine Kuh zeigen, die an den Folgen der Luftverschmutzung auf der Weide krepiert war. „Heut‘ die Kuh, morgen Du“, hatte ich gereimt. Für unser Anzeigenmotiv suchten wir erstens nach einem Industriepanorama, das zweitens giftige Wolken spie, drittens an eine Weide grenzte, die viertens einem Bauer gehörte, der uns Werbeaufnahmen darauf machen ließ und fünftens eine Kuh besorgte, die er sechstens auch bereit war, uns notfalls zu opfern. Bald mussten wir die schmerzliche Erfahrung machen, dass die sechs Sachen, die wir für unsere Anzeige haben wollten, an keinem Ort der Welt gemeinsam zu haben waren. Da die Wirklichkeit nicht in der Lage war, so zu sein, wie sie sein sollte, halfen wir ihr ein bisschen nach: Eine Kuh wurde herangekarrt. Ein Tierarzt wurde geholt. Eine riesige Spritze Betäubungsmittel wurde der Kuh verpasst. Der Knecht des Bauern wurde danebengestellt. Er sollte bei der dahingestreckten Kuh stehen und ihren Tod betrauern. Doch er fand keine Gelegenheit dazu. Die Kuh tat uns nicht den Gefallen. Sie wollte ums Verrecken nicht sterben. Sie graste stattdessen gemütlich. Auch eine zweite Spritze half nicht. Die Kuh kaute völlig unbetäubt weiter. Der Abend kam. Verzweiflung breitete sich aus über die Kreatur, die einfach nicht totzukriegen war und uns zwang, sie mit ständig neuen Betäubungsspritzen zu peinigen. Als es dunkel wurde, sank sie schließlich hin. Der Fotograf schrie: Action. Der Knecht stand ungerührt und unfähig, auch nur ein bisschen Verzweiflung auszudrücken. Er hatte ohnehin von diesem ganzen absurden Theater nichts begriffen. Der Fotograf drückte auf den Auslöser.“

Michael Schirner ist der Autor dieser Enthüllungsgeschichte, und sie wird noch besser durch die Fortsetzung: Beim nächsten Motiv der Kampagne, in dem es um das Verschwinden der Tante-Emma-Läden ging („Tante Emma ist tot“), entging das Model nur knapp dem Tod. der Fotograf hatte eine betagte Ladenbesitzerin in ein Hängekorsett gezwängt und sie von der Decke baumeln lassen; das Korsett war zu eng und nahm ihr die Luft zum Atmen. Kein Journalist kann verlangen, dass ihm ein Werber solche Geschichten zum Fraß vorwirft. Das wäre selbstmörderisch. Aber was ist mit den vielen kleinen harmlosen Geschichten, die das Leben des Werbers so aufregend und unterhaltsam machen und die wir nirgends lesen?

CREDITS

Auftraggeber: Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG
Agentur: GKO&S, Geilenberg, Kellner, Oyne und Schirner
Kreativdirektor: Ben Oyne (Art), Michael Schirner (Text)
Fotograf: Ben Oyne
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